Need for Speed Unbound – Test

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    Nach vielen Höhen und mindestens ebenso vielen Tiefen soll Need for Speed Unbound es jetzt also richten. EA geht mit dem neusten Ableger der vielseitigen Rennserie einen neuen und etwas ungewöhnlichen Weg. Ob Need for Speed Unbound die erhofften PS auf den virtuellen Asphalt bringt, das erfahrt ihr hier in unserem Test.

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    Für diesen Test spielten wir Need for Speed Unbound auf Playstation 5

     

     

    Es gab schon leichtere Zeiten

    Die Need for Speed Reihe hatte schon ruhigere Fahrwasser erlebt. Während die Serie vor vielen Jahren noch nahezu konkurrenzlos Vollgas geben konnte, tauchten mit der Zeit immer mehr und immer vielseitigere Rennspiele auf. Spielerinnen und Spieler hatten immer mehr Auswahl und so musste Need for Speed seine eigene Identität in diesem Feld suchen. 2015 folgte der Reboot der Rennserie und seither gelang es leider nie, an den ursprünglichen Erfolg noch einmal anzuknüpfen.

    Heat und Payback blieben weit hinter den Erwartungen zurück und selbst das Hot Pursuit Remastered konnte die Delle nur leicht abmindern. Also entschied man sich klammheimlich für einen kompletten Neuableger, der ziemlich überraschend auch erst vor drei Monaten angekündigt wurde: Need for Speed Unbound.

    Der unerwarteten Ankündigung folgten dann allerdings die üblichen toxischen Reaktionen der Gamer in den (un)sozialen Medien. Das lag in erster Linie an der Machart des Spiels: Cell-Shader Grafik mit comicartigen Figuren, grelle Pastell-Effekte, eingeblendete Graffiti-Buchstabenblasen bei Drifts. Vielen wirkte das künstlich aufgesetzt und pseudo-cool.

    Vielleicht kennt ihr die alte Binsenweisheit „Beurteile ein Buch niemals nach seinem Einband“. Eine Erkenntnis, die auf Need for Speed Unbound absolut zutreffend ist.

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    Bitte den Mund halten, danke!

    So ganz können wir den Unmut an dieser Stelle nicht nehmen. Ja, Need for Speed Unbound möchte hip und cool mit seinen jungen Rennfahrerinnen und Rennfahrern wirken. Die meiste Zeit wirkt das recht aufgesetzt und künstlich. Die deutsche Vertonung tut ihr Übriges dazu, wenn quasi im Dauerakkord irgendwelche belanglosen Sprüche rumposaunt werden. Scheinbar will man auch verbal zeigen, wie taff man doch ist im Vergleich zur mitfahrenden Konkurrenz.

    Glücklicherweise kann man in den Einstellungen der Audiospuren so ändern, dass dieser geistige Nicht-Erguss ins Unhörbare schwindet. Vielleicht bin ich für diesen Slang auch einfach zu alt, er zündet jedenfalls in keinster Weise. Daher der Rat, nicht zu schnell die Flinte ins Korn zu werfen, sondern die Sprachausgabe einfach zu deaktivieren.

    Womit der größte Unfug des Spiels dann nämlich auch schon wieder passé ist. Sobald ihr euch einmal auf das Geschehen einlasst, werdet ihr merken, dass Criterion (endlich wieder Criterion!) hier ziemlich gute Arbeit geleistet hat!

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    Kein grafischer Einheitsbrei

    Offensichtliches soll man zuerst ansprechen, also besprechen wir mal den Grafikstil, der für viel Diskussion im Vorfeld sorgte. Dass der hier angewendete Stil, nämlich ein Mix aus Fotorealismus und Comic, polarisieren wird, war eigentlich von Anfang an klar. Mal abgesehen davon, dass man es ohnehin nicht jedem Recht machen kann, ist diese Verquirlung auch eine recht ungewöhnliche, zumindest für ein Rennspiel. Während also das Fahrerteam und die eingeblendeten Text-Sound-Wolken für reichlich comicartiges Flair sorgen, sind alle Umgebungen möglichst realistisch gehalten.

    Ob man es damit im Guten hält oder nicht, ist letztlich persönlicher Geschmack. Was allerdings feststeht, ist der Fakt, dass ihr euch daran gewöhnen werdet. Nach ein paar Runden auf den Strecken gehen die Stilmixe ineinander über und ihr werdet gar nicht mehr bewusst auf diesen krassen Schnitt achten. Was dann besonders all denen entgegen kommt, die sich daran anfangs noch stören, so wie ich. Meiner Abneigung zum Spielstart hin musste ich doch schon ziemlich schnell feststellen, dass das falsch lag. Die hyperrealistische Darstellung im Kontrast zu runterstilisierten Fahrern, das funktioniert hier auf seltsame Art und Weise ziemlich gut.

    Sollten euch die aufloppenden Blasen bei Fahrmanövern zu sehr stören, dann haben wir schlechte Nachrichten: Im Gegensatz zur Sprachausgabe lassen sich diese nämlich nicht deaktivieren. Vornehmlich springen diese bei Drifts ins Bild und so bliebe euch als Alternative einfach übrig, weniger zu driften.

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    Offenes Lake Shore

    Im Gegensatz dazu sieht die offene Spielwelt Lake Shore tippi toppi aus und wurde hervorragend modelliert. Sie sieht aber nicht nur hübsch aus, sondern bietet auch so ziemlich jede Art von Parcours, die man sich als Hobbyrennfahrer so wünschen kann. Need for Speed Unbound ist an dieser Stelle eine Art Best-Of von dem, was die Reihe an bisherigen Strecken so bot. Eine dicht besiedelte Innenstadt inkl. Fußgänger, kurvenreiche Bergpisten, weitläufige Hafengebiete, Hochtempo-Freeways und natürlich all das mit einer Menge Potential zur Zerstörung.

    Einen adaptiven Wechsel zwischen Tag und Nacht gibt es derweilen nicht. Die Tageszeit ist an die aktuelle Mission gebunden und lässt hier keinen Spielraum offen. Die Wetterwechsel hingegen schon, wodurch ihr unter Umständen mal vom trockenen auf nassen und rutschigen Asphalt wechselt. Gerade nachts kommen die grellbunten und überfrachteten Blendeffekte hervorragend zur Geltung und verwandelt die Strecke in ein farbiges Lichtermeer.

    Obendrein hat Lake Shore auch allerhand zu bieten und setzt für jedes Rennen den passenden Akzent. Risikoreiche Sprünge sind ebenso an der Tagesordnung wie waghalsige Drift bei irren Endgeschwindigkeiten. Die mit netten und spannenden Herausforderungen gespickte Karte lässt hier kaum Wünsche offen und weiß zu beschäftigen.

    Das Risiko-Belohnungssystem kennen wir bereits aus dem Vorgänger Rivals und findet auch hier wieder Anwendung. Pro Rennen sammelt ihr also nicht nur Credits, sondern auch „Heat“. Dieser Faktor ist ein Level an Aufmerksamkeit, mit dem ihr die hiesigen Cops anzieht. Je mehr Heat also, desto versessender sind die uniformierten Ordnungshüter hinter euch her. Geht ihr ihnen ins Netz, dann sind alle bis dahin gesammelten Credits futsch, die ihr nicht vorab in eurer Garage gesichert habt. Es ist und bleibt ein Spiel mit dem Feuer, denn je länger ihr durchhaltet, desto lukrativer werden die Einsätze.

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    Ohne Limits

    Der Start ins Spiel zeigt euch, was euch später noch alles erwarten wird. Zunächst einmal sitzt man nämlich hinter dem Steuer eines unzähmbaren Biestes und lässt es so richtig krachen, bevor uns die Story finanziell weit zurück schleudert. Dieses Vorgeplänkel dient allerdings nicht nur für den Ausgangspunkt der Geschichte in Need for Speed Unbound, sondern zeitgleich auch als Tutorial. Hier lernt man den Umgang mit den PS-Schleudern und merkt sofort, dass Criterion seine Sache gut macht.

    Vorbei die Zeiten mit hakeliger Steuerung und unkontrollierten Ausbrüchen, hier sitzt alles wie aus einem Guss. Das Handling ist knackig auf den Punkt und bietet dennoch viel Raum für sanfte Stickbewegungen. Damit das so ist, solltet ihr unbedingt (!) in die Optionen gehen und die Todzone der Sticks runterregeln. Diese stehen nämlich im Standard auf >20% und machen meiner Meinung nach überhaupt keinen Sinn.

    Wenn ihr nicht gerade eurer Konkurrenz davonflitzt, dann verbringt ihr Zeit in der Garage. Und da darf getuned werden, was das Zeug hergibt bzw. euer Inventar. Die notwendigen Kleinteile findet ihr auf- und abseits der Strecken, aber auch mit dem Gewinn der Rennen. Es lohnt sich also immer, ein Auge auf Nebenmissionen oder versteckte Bonusgegenstände zu haben. Zum Start weg bietet euch Need for Speed Unbound über 140 Schlitten, die ihr nach Herzenslust frisieren dürft.

    Kein Gummiband-Effekt, yay!

    Für mehr Power schraubt ihr neue Teile in die Motoren, für den neuen Look sorgen Decals und etliche Verzierungen. Und ja, auch neue Cartoon-Effekte könnt ihr freischalten und „anbringen“. So oder so, ihr kommt beim Pimpen voll auf eure Kosten und insbesondere Fans von Underground dürfte hier das Herz aufgehen. Die Spannweite der Autos reicht von Alltagswagen über Klassiker bis hin zu Supersportwagen.

    Den vielleichten größten Glücksfaktor erlebt man, wenn man ein Rennen gewonnen hat. Das mag irgendwie banal klingen für ein Rennspiel, jedoch transportiert das Spiel diese Glücksmomente eben auch genau so, wie sie sich anfühlen sollen. Grund dafür sind zwei Dinge: Der Schweregrad und die KI. Belasst den Schweregrad ruhig auf „herausfordernd“, denn er wird seinem Namen durchaus gerecht. Ihr bekommt von den Mitfahrern somit ein ums andere Mal eure Grenzen aufgezeigt und müsst euch mit einem Platz im Mittelfeld begnügen. Schafft ihr es dann doch ins Ranking der Top 3, fühlt sich das wirklich befriedigend an. Obendrein spornt euch das Eventsystem für dauerhafte Bestleistungen an, da ihr die jeweiligen Rennen nicht unendlich oft wiederholen dürft.

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    Bordsteinkantendrama

    Und dann wäre da noch das leidige Thema des „Gummibandes“, mit dem bekanntlich zahlreiche Rennspiele so ihre Probleme haben. Es beschreibt letztlich den Effekt, dass das Fahrerfeld immer einigermaßen zusammen bleibt. Wer vorne fährt, wird künstlich ausgebremst, während die letzten auf wundersame Weise immer näher ran rücken. Glücklicherweise zeigt Need for Speed Unbound nicht den Hauch eines Gummibandes, was an dieser Stelle lobend zu erwähnen ist.

    Probleme gibt es aber dennoch ein paar. Z.B. ist die Kollisionsabfrage nicht immer zuverlässig. So blieben wir mehrere Mal an Objekten hängen, die im Grunde gar nicht der Rede wert sein sollten, beispielsweise ein Bordstein. Gelegentlich hatten wir außerdem den Eindruck, dass die Fahrphysik mal kurz ein Nickerchen eingelegt hatte. Bei Sprüngen hatten wir es gleich mehrfach, dass das Verhältnis Geschwindigkeit zur Sprunghöhe und der zurückgelegten Distanz so gar nicht in Einklang zu bringen waren. Kleinigkeiten im Grunde, die hoffentlich bei nächster Gelegenheit weggepatched werden.

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    Fazit

    Dass Need for Speed Unbound die Gemüter spaltet, war schnell klar. Man sollte jedoch nicht zu vorschnell urteilen und sich auf diesen Arcade-Racer einlassen. Spätestens nach dem Tutorial habt ihr euch an den doch ungewöhnlichen Grafikstil gewöhnt und kommt dann eventuell doch voll auf eure Kosten.

    Criterion und EA machen hier einen Spagat, der gut gehen kann, aber eben nicht zwingend auch muss. Alles wirkt aufgesetzt hip und möglichst cool, während sich die Protagonisten überderbe Sprüche um die Ohren jagen. Ich kann nur munkeln, aber die Präsentation wird jüngeren Spielerinnen und Spielern deutlich eher zusagen als mir, der über 40 Lenzen auf dem Konto hat.

    Spielerisch funktioniert Unbound allerdings tatsächlich genau so, wie man es von Criterion gewohnt ist. Konfiguriert die Steuerung, dann habt ihr eure Boliden jederzeit im Griff und driftet durch jede noch so enge Kurve. Spaß- aber auch Stressfaktor bleiben durch den herausfordernden Schweregrad und die klug agierende KI immer hoch. Und auch die Sammelleidenschaft wird durch immer neue verbaubare Teile befriedigt.

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    Kind der 70er. Seit '84 Musiker, seit '85 Hobby-Jedi, seit '86 Zocker und seit 2011 hier Redakteur