Kein bisschen Wohlfühlfaktor, statt dessen eine große Aufgewühltheit danach. The Last Of Us 2 lässt mich mit einer inneren Leere zurück, wie ich sie bei einem Videospiel noch nie erlebt habe. Und genau das macht das Spiel zu großartig. Hier unser Test…
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Unser Test enthält keine Spoiler!
Das Leid der anderen
Warum spielt man ein Videospiel? Ich behaupte einfach mal, dass jeder von uns in erster Linie unterhalten werden möchte. Konsole an, abschalten und entspannt zurücklehnen. Vergesst das im Falle von The Last Of Us 2 am besten direkt ganz schnell. OK, das war nach Teil 1 auch irgendwie abzusehen, dass wir mit dem zweiten Teil eine schwer verdaubare Geschichte präsentiert bekommen. Aber das finale Produkt übertraf meine Vorstellung um so ziemlich alles. Das hier ist keine Unterhaltung, es ist eine tieftraurige Leidensgeschichte.
Das Spiel wird die Zocker rund um den Globus spalten. Wer mit dieser Dauertragödie nicht zurechtkommt, der wird kaum ein gutes Haar am Game lassen. In Zeiten der Empörtheit bleibt auch ein TLOU2 nicht vor Review-Bombings verschont (siehe Metacritic) und man erkennt schnell, wie schnell man sich mit seiner Meinung in die Wolle bekommt. Im Gegensatz zu so manch anderem Titel mit diesem Problem empfinde ich das im Falle von The Last Of Us 2 allerdings als Kompliment. Naughty Dog zerrt mit aller Gewalt an unserem moralischen Kompass, nur, um ihn dann kräftig zu schütteln. Ob das hier noch an der Schmerzgrenze ist oder schon darüber hinaus, muss jeder für sich selbst herausfinden.
TLOU2 lebt von seiner mitreißenden Geschichte. Worte können diese kaum passend wiedergeben, daher belasse ich es an dieser Stelle mit ein paar oberflächlichen Infos, die keinerlei Spoiler enthalten. Zeitlich knüpft Teil 2 einige Jahre später an die Ereignisse aus Teil 1 an. Joel und Ellie sind gealtert, aus dem jungen Mädchen ist eine taffe Frau geworden. Gemeinsam mit anderen Überlebenden der Pandemie versuchen sie, ihr Überleben in einer Siedlung namens Jackson im US Bundesstaat Wyoming zu sichern.
Und mehr Infos zur Story sollen es auch an dieser Stelle gar nicht sein. Die Geschichte des Spiels ist wie ein Puzzle, an dessen Anfang man noch ziemlich unbeholfen dasteht und sich nach und nach die Teile einfügen. Aber erst ganz am Ende sieht man das Gesamtwerk – und es droht den Spieler zu erdrücken.
Aus Liebe wird Hass
In den Vorberichten zu TLOU2 taucht mal ein Zitat der Macher auf, was in etwa so ging: In Teil 1 war Liebe das Leitmotiv, in Teil 2 wird es Hass sein. Treffender kann man die Ereignisse nicht auf ein einzelnes Wort herunterbrechen. Diese innere Zerrissenheit bleibt bis zum Abspann stetiger Begleiter, wird phasenweise sogar so unerträglich, dass ich es kaum aushalten konnte. Mehr als ein Mal wollte ich den Controller beiseite legen und den Figuren im Spiel zurufen, dass sie diesen Konflikt selbst lösen müssen. Ein „guter“ Ausweg war für mich nicht sichtbar, es gibt hier und da einfach nicht diese eine Lösung, die alle Personen glimpflich einer Situation entlässt. Je tiefer man in die Story eindringt, desto erdrückender werden solche Sequenzen. Den Begriff einer Tragödie zu wählen wäre für die rund 30 Stunden Spieldauer noch sehr harmlos. Es ist ein hasserfüllter Rachefeldzug.
Diese emotionale Achterbahnfahrt kann selbst ein so renommiertes Studio wie Naughty Dog nicht alleine durch eine kluge Geschichte stricken. All das erlebt man nur durch ein perfektes Zusammenspiel aus Spielwelt, Pacing, Story, Erkundung und Survival. Dies sind die wichtigen Kernelemente, durch die TLOU2 lebt und euch so tief mit reinzieht. Und auch die Tatsache, dass Sony den Entwicklern von ND keinerlei Vorgaben machte, wie das Endprodukt auszusehen hat. Rückblickend ist das vielleicht sogar mitentscheidend dafür, dass wir hier ein so kontroverses Spiel vor uns liegen haben. The Last Of Us 2 ist so ziemlich alles, aber weder ein Mainstream-Spiel, noch in irgendeiner Weise glatt gebügelt.
Die Spielwelt ist mit das Beste, was ich in den letzten Jahren erlebt habe. Jeder noch so kleine Winkel wurde mit viel Liebe zum Detail gestaltet und ausgeschmückt. Gleichwohl wirkt sie verglichen mit dem Vorgänger nicht nur größer, sondern auch freier begehbar und abwechslungsreicher. Neben der bereits erwähnten Siedlung durchstreift ihr Wälder, breite Straßenzüge, gammelige Camps und verwaiste Ortschaften. All das ohne die künstliche Vorgabe von reihenweisen Wegmarkern, wie man es etwa aus Ubisoft-Spielen her kennt. Ganz im Gegenteil sogar, das Spiel schafft es äußerst geschickt, euch von A nach B zu bringen, ohne auf unnötige oder überflüssige Hilfen zu setzen. Es passiert einfach so und fühlt sich obendrein auch noch perfekt natürlich an.
Dabei setzt das Gameplay durchaus konsequent auf die Stärken des Vorgängers. Nur fühlt sich hier in Teil 2 alles noch freier an. Künstliche Barrieren gibt es kaum und ein ums andere mal ertappt man sich dabei, wie man dank dieser Freiheiten die komplette Welt auskundschaften möchte. Zugleich könnte ihr nahezu jedes Element der Spielwelt zum Vorteil nutzen, wenn es zu einer Konfliktsituation mit den Seraphiten oder Söldnern der WLF (Washington Liberation Front ) kommt. Hohes Gras oder verwinkelte Ecken bieten oft den nötigen Schutz, um aufflammenden Konfliktsituationen kurze Momente der strategischen Planung zu ermöglichen.
Tempowechsel
Bei Kämpfen solltet ihr immer einen Blick auf den Munitionsvorrat haben. TLOU2 spielt sich zu keiner Sekunde wie ein Shooter, sondern tendiert in Richtung Horror-Survival mit begrenztem Schussmaterial. Der Spannungsbogen wird dadurch extrem hochgehalten, was man hier und da retrospektiv konstatiert. Hätte ich eine Situation vielleicht lieber durch Schleichen lösen sollen statt die Waffe auszupacken? Die KI steigert die Aufgeregtheit sogar noch weiter. Hier greift niemand blind an und rennt in sein Verderben. Gruppen geben sich Deckungsfeuer, während einer näher an euch heranrückt. Und als Gipfel dessen sind die Feinde gar nicht mal so ungeschickt darin, eurem Kugelhagel geschickt auszuweichen.
Ellie und ein paar weitere Figuren verfügen über einen Talentbaum, mit dessen Hilfe man gefundene Teile zu nützlichen Gegenständen craften kann. So sind Medipacks immer ein sinnvoller Begleiter, während beispielsweise Molotowcocktails gerade bei Gegnergruppen für verheerenden Schaden sorgen können. trotz diverser neuer Skills und Waffen spielt sich TLOU2 jedoch zu keinem Zeitpunkt übermächtig, dafür holt euch das Spiel zu oft auf den Boden der Tatsachen zurück.
Pacing ist auch so eine Sache, die dem Spiel einfach unfassbar gut steht. Der Wechsel zwischen hektischen Fluchtversuchen, angespannten Gefechten und ruhiger Erkundung sind in perfekter Balance. Und doch hält TLOU2 die Spannung in jedem Moment hoch. Selbst bei einem ruhigen Ritt durch einen Wald begleitet uns immer das Gefühl, dass uns hier irgend etwas in wenigen Sekunden um die Ohren fliegt. Grandiose Soundeffekte lassen den Puls kaum unter den Schwellwert sinken. Extreme Anspannung werdet ihr dann erleben, wenn ihr euch möglichst leise bewegen wollt und ihr dann für einen Augenblick den Untergrund aus den Augen lasst. Jeder Schritt führt zu erhöhtem Muskeltonus am ganzen Körper.
Grafisch ist das Spiel eine würdige Verabschiedung der Playstation 4 in ihren kommenden Ruhestand. Ihr werdet kein optisch schöneres Spiel für diese Konsole finden, versprochen.
Was bleibt
Über all dem schwebt die grundsätzliche Frage der Moral. Wer definiert eigentlich gut und böse? Ist Gewalt letztlich doch auch immer ein Mittel um ans Ziel zu gelangen? Naughty Dog lässt euch mit dieser Frage hilflos im Raum stehen. Zeitgleich passieren so viele Dinge während des Spiels, die diese Fragen ein ums andere Mal aufwerfen. Nein, hier gibt es das klassische schwarz-weiß Denken nicht, dafür lernt man zu viele Feinde gut kennen und zu viele Freunde zu verachten. Wenn uns das Spiele eine Sache lehrt, dann die, dass diese Einteilung in Gut und Böse immer eine Sache des persönlichen Standpunktes ist. Die berühmten beiden Seiten einer Medaille eben und TLOU2 zwingt euch dazu, beide Seiten zu betrachten.
Fazit
The Last Of Us 2 lässt mich fassungslos zurück. Die brutalen Brüche innerhalb der Story mit dem Tod als ständigen Begleiter führen zu einer emotionalen Achterbahnfahrt, die sich gewaschen hat. Das Spiel kennt kein feel good, sondern ausschließlich feel sick. Und tatsächlich schafft das einzigartige Zusammenspiel aus Geschichte, Gameplay und Spielwelt, dass man sich zu keinem Zeitpunkt wirklich gut oder erhaben fühlt, sondern permanent mit sich hadert. Genau wie Ellie verlieren wir zusehend den letzten Funken Hoffnung und stehen vor nichts außer Trümmern. Ein großartiges und fesselndes Spiel, das abschließend mehr Fragen aufwirft, als es beantwortet.