Stray Gods: The Roleplaying Musical verbindet Visual Novel und Musical miteinander. Denn statt in gewöhnlichen Dialogen treffen wir als Spieler unsere Entscheidungen während Songs und bestimmen so, wie sich die Musik und die Geschichte weiterentwickeln. Wie gut klappt das spielerisch und musikalisch? In unserem Stray Gods Test sind wir diesen Fragen auf den Grund gegangen.
Wenn man an Visual Novels denkt, kommen einem vielleicht nicht sofort Musicals in den Sinn. Und das hat sicher auch gute Gründe. Es wäre schon ziemlich seltsam, würde Camina Drummer im neuen Telltale Game The Expanse plötztlich ein Duett mit einem ihrer Crew-Mitglieder aufs Weltraum-Parkett legen. Aber natürlich haben nicht alle Spiele ein so düsteres und ernsthaftes Setting. Könnten die Gottheiten in Harmony: The Fall of Reverie nicht auch singend die Zukunft vorhersagen? Oder könnte Bigby Wolf seine Verhöre in The Wolf Among Us nicht auch mit einem Lied auf den Lippen durchführen?
So eine ähnliche Frage müssen sich wohl auch die Entwickler der Summerfall Studios gestellt haben. Und ihre Antwort lautete: „Ja, das geht!“. Und so ist es nach einer erfolgreichen Crowdfunding-Kampagne und 5 Jahren Entwicklungszeit nun so weit. Ein Spiel, das den Fokus auf Story und Charaktere legt. Ein Spiel, in dem die Spieler die wichtigen Entscheidungen während Songs treffen und damit bestimmen, in welche Richtung sich die Story und die Musik entwickeln.
Die Götter sind Unter Uns
Die Hauptfigur in Stray Gods: The Roleplaying Musical ist Grace. Eine junge Frau, die sich ziellos fühlt und noch auf der Suche nach ihrem Platz in der Welt ist.
Als eine ihr Unbekannte namens Calliope in Folge eines Mordanschlages in ihren Armen stirbt, gerät Grace in ein Wirrwarr aus Intrigen und Lügen, bei dem auf einmal ihr eigenes Leben auf dem Spiel steht.
Denn es stellt sich heraus, dass die tote Calliope eine göttliche Muse. Außerdem erfährt Grace, dass auch die griechisch-römischen Götter wie Athene und Apollo tatsächlich existieren und im Geheimen unter uns leben. Von ihnen wird Grace nun beschuldigt, Calliope ermordet zu haben, um an ihre Kräfte zu gelangen: die Macht, andere zu inspirieren und sie durch Musik zum Reden zu bringen. Grace hat nun eine Woche Zeit, um ihre Unschuld zu beweisen und so das gegen sie ausgesprochene Todesurteil abzuwenden.
Bis zu diesem Punkt in der Geschichte vergehen von den insgesamt ca. 7 Stunden Spielzeit keine 30 Minuten. Und davon sind sogar noch einmal ungefähr 8 Minuten die ersten beiden Songs. Während unserem Stray Gods Test sind wir also schnell mitten im Geschehen. Hier wird nicht lange gefackelt und das ist sehr angenehm. In unserem Starfield Test dauerte es schließlich viele Stunden, bevor es richtig los ging.
Lebendige Figuren dank toller Synchronisation
Trotz dieses Tempos schafft es das Spiel, seine Charaktere lebendig zu gestalten. Und das ist vor allem der Verdienst der fantastischen Vertonung. Alle Sprecher erwecken ihre Figuren zum Leben und geben ihnen eine starke Persönlichkeit. Von der aufgedrehten Freddie über den melancholischen Apollo bis hin zur besessenen Medusa. Die Sprecher sind gut gecastet und können außerdem auch singen. Für ein Musical nicht ganz unwichtig.
Die Verschiedenheit der Charaktere sorgt dafür, dass das Spiel immer kurzweilig bleibt. Dazu tragen auch die Dialoge bei, die sehr unterhaltsam geschrieben sind. Besonders Spaß machen die Momente, in denen sich das Spiel selber mit einem Augenzwinkern aufs Korn nimmt. Sätzen wie „Wartet! Ist es nicht seltsam, dass wir gerade alle singen?“, sind das Salz in der Suppe und streuen im richtigen Maß immer wieder auflockernde Momente ein.
Altbekanntes mit einer Prise Kickass!
Wie schon erwähnt nimmt uns Stray Gods also mit auf eine klassische Kriminalgeschichte, in der wir als Grace die Detektivin geben. In drei Akten besuchen wir unterschiedliche Orte und sprechen mit verschiedenen Göttern bzw. Verdächtigen, um den wahren Mörder von Calliope zu finden. Dabei können wir auf einer Stadtkarte auswählen, in welcher Reihenfolge wir die verschiedenen Locations besuchen wollen. Auf die Entwicklung der Geschichte hat das allerdings keinen Einfluss.
Außerdem wählen wir gleich zu Beginn eine Charaktereigenschaft für Grace aus. Dabei können wir uns für „charmant“, „clever“ oder „kickass“ entscheiden. Bei unserem Stray Gods Test haben wir alle drei ausprobiert. Denn je nachdem für welche der drei wir uns entscheiden, haben wir an einigen Stellen besondere Interaktionsmöglichkeiten, die uns sonst verschlossen bleiben. Haben wir für Grace zum Beispiel die Charaktereigenschaft „charmant“ gewählt, kann sie ihre Gegenüber mit einfühlsamen Worten auf ihre Seite bringen und ihnen so die ein oder andere nützliche Information entlocken. Ist sie dagegen besonders „clever“, nutzt sie harte Fakten und kluge Schlussfolgerungen, um der Wahrheit auf die Schliche zu kommen. Und bei „kickass“…nun ja: Rock n’ Roll, Baby!
Der Rest des Spiels folgt dann dem altbekannten Rezept einer Visual Novel im Telltale-Stil. Immer wieder können wir in Situationen aus maximal vier unterschiedlichen Antwortalternativen auswählen und so den Fortgang der Unterhaltungen bestimmen. Und da es sich ja um ein interaktives Musical handelt und Grace die Gabe hat, Leute im wahrsten Sinne des Wortes zum Singen zu bringen, findet ein großer Teil dieser Unterhaltungen als Gesang statt.
Hier spielt die Musik
Das Wichtigste bei einem Musical ist natürlich – egal ob interaktiv oder nicht – die Musik.
Wer von Euch kein Musical-Fan ist und das ganze Gesinge schon immer etwas albern fand, fragt sich vielleicht, was die ganze Herumträllerei überhaupt soll. Schließlich ist es doch sehr befremdlich, dass Leute urplötzlich in Gesang ausbrechen, anstatt sich einfach ganz normal zu unterhalten. Und während das natürlich stimmt, hat ein Musical doch gerade deshalb eine ganz besondere Anziehungskraft und Wirkung.
Denn was ein gutes Musical ist, nutzt die Musik, um uns auf eine Weise zu berühren und uns auf die emotionale Reise der Charaktere mitzunehmen, die einem Spiel oder Film mit reinem Dialog nun mal einfach nicht zur Verfügung steht. Nicht ohne Grund sind seit je her Disney-Filme – von Schneewittchen und die Sieben Zwerge über den König der Löwen bis hin zu Die Eiskönigin aka. Frozen – alle Musicals.
Außerdem hat ein Musical noch den zusätzlichen Bonus, dass uns eingängige Musik, die uns gefällt, lange in Erinnerung bleibt. Wer kennt es nicht: den einen Ohrwurm, der einem einfach nicht mehr aus dem Kopf gehen will.
Also…ist Stray Gods: The Roleplaying Musical ein gutes Musical? Nehmen uns die Lieder auf eine berührende emotionale Reise der Figuren mit? Trällern wir auch noch Wochen später die Songs aus dem Spiel, weil wir die eingängigen Melodien einfach nicht mehr aus dem Kopf bekommen?
Die Antwort lautet: Nur hin und wieder! Aber der Reihe nach.
Eine bunte Mischung – von TOP…
Bei den 23 Songs, die uns im Laufe des Spiels begegnen (können), gibt es gewaltige Unterschiede. Dabei geht es aber nicht um „gefällt mir“ und „gefällt mir nicht“. Denn über Geschmack lässt sich ja bekanntlich nicht streiten. Einige der Songs sind jedoch deutlich gelungener als andere.
So gibt es ein paar echte Perlen. Besonders zu Beginn zeigt das Spiel, was es musikalisch kann. Es lässt gleich ein melodisches Duett zwischen Calliope und Grace vom Stapel, dass uns unserer Hauptfigur nahe bringt. Grace’s verzweifelte Suche nach ihrem Platz in der Welt wird uns eindringlich vor Augen führt. In der Musik zeigt sich sowohl die ganze Verwirrung, Angst und Traurigkeit von Grace als auch die Zuversicht und Warmherzigkeit von Calliope.
Auch der zweite Song bleibt im Ohr. Hier buhlen die Gottheit Pan und Grace’s Freundin Freddie um die Gunst unserer Heldin. Bei dieser jazzigen Nummer kann man die Füße kaum still halten. Und auch die Interpretation der Texte durch die Sänger ist herausragend.
…bis FLOP
Wenn das Spiel also die richtigen Töne trifft, macht es wirklich Spaß. Doch leider fühlen sich zu viele der Lieder während unserem Stray Gods Test nur wie Lückenfüller an, denen es einfach an zu viel mangelt. Einem cleveren Text, einer eingängigen Melodie, einer gut ausgearbeiteten Struktur und Flow.
Vor allem die erwähnte Struktur und der Flow leiden oft sehr unter dem interaktiven Aspekt des Spiels. Dadurch, dass wir während der Lieder mit unseren Entscheidungen den weiteren Verlauf beeinflussen, kommt es oft zu Brüchen in der Musik. Das ist besonders dann der Fall, wenn wir bei den Entscheidungen nicht durchgängig die gleiche Herangehensweise wählen („charmant“, „clever“ oder „kickass“) sondern bunt mischen. So kann sich die Stimmung schlagartig verändern oder das Tempo und die Instrumentierung sind plötzlich eine andere. Die Lieder wirken dann teilweise sehr zerstückelt.
Natürlich ist es nicht einfach, ein Lied mit Gesang zu komponieren, das etliche Variationen haben kann, die alle zusammenpassen müssen. Doch diese Interaktivität und das Auswählen der Varianten ist die einzige Mechanik des Spiels. Das IST das Spiel. Und genau deshalb muss die Messlatte an dieser Stelle auch hoch angesetzt werden. Leider kann Stray Gods: The Roleplaying Musical wie gerade beschrieben diese Höhe zu oft nicht überspringen.
Rewind & Repeat
Dass wir bei unserem Stray Gods Test nicht jede einzelne der Lied-Varianten gehört haben, ändert nichts daran. Dennoch ist der Wiederspielwert durch die große Anzahl an verschiedenen Kombinationen und daraus resultierenden Songs nicht unerheblich. Hier gibt es je nach Entscheidung wirklich andere Musik zu hören. Es macht Spaß, die unterschiedlichen Varianten der Lieder zu entdecken. Das motiviert dazu Geschichte von Grace noch einmal von neuem zu beginnen.
Einige technische Mängel
Leider sind uns in unserem Stray Gods Test immer wieder technische Mängel begegnet. Dabei drehte es sich vor allem um Audio-Probleme. So ist der Sound oft schlecht abgemischt. Vor allem was die Lautstärke angeht. Während einer Unterhaltung ist die Stimme ein und derselben Person an manchen Stellen sehr leise, an anderen dann wieder sehr laut. Diese Unterschiede treten immer wieder auf und sind so deutlich zu hören, dass sie uns regelrecht aus dem Spielgeschehen herausgerissen haben.
An einer Stelle während unseres Tests hatte das Spiel mitten in einem der Songs sogar Probleme, die Musik abzuspielen. Im dem Duett von Grace und Persephone, der Göttin der Unterwelt, war die Musik plötzlich komplett verschwunden. Als sei die Nadel von der Schallplatte gesprungen. Es war nur noch das Hintergrundgeräusch der anfeuernden Zuschauer zu hören. Ein ziemlich bizarrer Moment.
Fazit
In Stray Gods: The Roleplaying Musical können Spieler tatsächlich entscheiden, welche Musik gespielt wird. Einige der insgesamt 23 Songs sind dabei echte Ohrwürmer. Nicht wenige der Lieder erscheinen aber eher wie Lückenfüller. Aufgrund der Interaktivität holpert die Musik zudem zu oft und zu stark übers Parkett. Durch die unterschiedlichen Varianten der Songs hat das Spiel dennoch einiges an Wiederspielwert.
Vor allem die herausragenden Dialoge, Charaktere und die fantastischen Sprecher machen Stray Gods zu einer kurzweiligen Angelegenheit.
Im Audio-Bereich gibt es aber zu viele technische Mängel. Starke Unterschiede in der Lautstärke der Stimmen und ein völliges Aussetzen der Musik sollten bei einem Spiel mit Fokus auf genau diese Aspekte nicht auftreten. Hoffentlich werden diese Probleme in zukünftigen Patches behoben.
Alle, die gerne Visual Novels spielen, in denen sich nicht alles um Highschool-Romanzen dreht, können hier dennoch getrost zugreifen. Auch Fans von Musicals werden ihren Spaß haben.
Für alle anderen, die immer noch unschlüssig sind, haben wir zum Abschluss noch einmal den Launch Trailer. Viel Spaß damit.
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Wir bedanken uns bei Summerfall Studios, Humble Games und Plan of Attack für die Bereitstellung eines kostenlosen Keys. Eine Einflussnahme seitens dieser Parteien ist nicht erfolgt.