Endlich! Nach über einem Jahrzehnt kehrt Silent Hill mit einem neuen Titel zurück. Konami wagt dabei einen notwendigen Kurswechsel sowohl in Sachen Gameplay als auch was die Verortung des Horrors betrifft. Statt verfallener US-Vorstädte wird dieses Mal ein japanisches Bergdorf vom Nebel eingehüllt. Im Fokus stehen eine junge Frau namens Hinako Shimizu und ein Dorf voller Schuld. Der Horror von Silent Hill f ist nicht nur zum Schocken da, sondern fungiert als Seziermesser für tiefgründige gesellschaftliche Wunden.
Die Kulisse ist tragisch, düster, schön: Neblige Reisfelder, verlassene Schreine, rostige Schultore. Zwischen roten Spinnenlilien, alten Ritualen und unheimlichen, stillen Gassen entfaltet sich ein Spiel, das Folklore und psychologische Abgründe miteinander kombiniert.
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Silent Hill f – Der Horror der Normalität
Silent Hill f verlegt das Grauen in den Alltag. Schon der Einstieg setzt den schwermütigen Ton der gesamten Erzählung: Hinako, eine Schülerin und jüngste Tochter mit „zu viel Eigensinn“, leidet unter den patriarchalen Strukturen innerhalb der Familie und der Dorfgemeinschaft. Diese Strukturen hallen in jeder Begegnung wider: Lehrer, Nachbarn, Freunde, sie alle haben geschlechterspezifische Vorstellungen und rollentypische Erwartungen, sie setzen Grenzen und äußern Besitzansprüche.
Die Monster, die Hinako bekämpft, tragen buchstäblich ihre Gesichter. Mobbing in der Schule, herablassende Lehrer, ein patriarchales Familiensystem, alles greift ineinander, bis Hinakos Realität kippt. Die Dämonen, die ihr begegnen, sind keine Fremdkörper, sondern Spiegel ihres Alltags. Konami wusste, worauf man sich bei dieser Erzählung einlässt und so warnte schon vor dem Release ein Content-Hinweis vor „Darstellungen von Geschlechterdiskriminierung, Kindesmissbrauch und Folter“. Doch das Spiel nutzt diese Themen nicht als Schockeffekt, es macht sie zum eigentlichen Thema und Fundament seines Horrors. Dies wird besonders deutlich in einer zentralen Aussage Hinakos, die sie an bedeutsamer Stelle der Handlung trifft: „Women get treated no differently than animals“.

Ein Körper als Tagebuch
Hinakos Körper ist ihr persönliches Gefängnis, das sie in Räume sperrt, in denen sie nicht sein möchte. Es ist aber auch gleichzeitig das Tagebuch ihres tragischen Kampfes. Brandmale, Masken, abgetrennte Gliedmaßen, all das sind keine Splatter-Spielereien, Hinako wird gezeichnet, ersetzt, verdreht. Es sind sichtbare Narben eines Lebens unter Zwang. Die ikonische Fuchsmaske, halb Maske, halb Mutation, steht für eine Identität, die nur durch Entstellung überleben kann.
Diese Metaphern funktionieren, weil Silent Hill f sie konsequent mit seiner Mechanik verknüpft: Jeder körperliche Schaden, jede psychische Überforderung spiegelt sich sichtbar in Hinakos Verfall wider. Transformation und Schmerz wachsen buchstäblich aus derselben Wurzel.
Silent Hill f: Monster & Symbolik
Das Monsterdesign ist visuell beeindruckend, auch wenn nicht jede Kreatur ikonisch gerät und keine den nachhaltigen Eindruck des legendären „Pyramid Head“ erreicht. Besonders hervorstechend sind die Crimson Flower-Vines und Spinnenlilien, blutrote Pflanzen, die ihre Opfer umschlingen. Sie verkörpern zugleich Tod und Verlangen und werden so zu einem Sinnbild zwischen Schönheit und Vernichtung.
Für Gänsehaut sorgen die Porzellan-Vogelscheuchen: groteske Gestalten mit Sense und zerbrechlicher Puppenmaske, fragil und furchteinflößend zugleich. In ihnen schwingt eine unheimliche Verwandtschaft zu den Krankenschwestern der frühen Silent Hill-Spiele mit.
Besonders stark eingebettet sind die Kämpfe gegen das eigene Umfeld, ehemalige Freunde, Liebhaber, Lehrer und Familienangehörige, die im Albtraum deformiert zurückkehren. Jeder Bosskampf wird damit auch zur Konfrontation mit der eigenen Vergangenheit und Identität.
Hinako Shimizu und ihr toxisches Umfeld
Hinako ist eine der vielschichtigsten Figuren, die die Serie je hervorgebracht hat, verletzlich und widersprüchlich, oft widerspenstig, aber nie passiv. Ryukishi07 gewährt ihr Raum für Fehler, Zorn und Zweifel. Wenn sie sagt: „Männer sind die Feinde aller Frauen“, klingt das nicht wie ein politisches Manifest, sondern wie der erschöpfte Aufschrei einer Frau, die zu oft verletzt wurde.
Ihr Begleiter Shu bleibt dagegen blass, fast konturlos. Er dient weniger als Charakter denn als Spiegel für Hinakos innere Zerrissenheit: emotional bedeutsam, spielmechanisch jedoch kaum relevant. Umso stärker wirkt die sprechende, oder vielmehr schreibende Kindheitspuppe, die Hinako begleitet: mal Schutzengel, mal Dämon ihres Gewissens. In ihr verdichtet sich das Ringen zwischen Selbsthass und Sehnsucht nach Erlösung; sie ist das Zentrum jener inneren Dialoge, in denen das Spiel seine größte Kraft entfaltet.
Auch Hinakos Umfeld schärft das Porträt ihrer Zerrissenheit. Schwester Junko, fest im Glauben, doch innerlich von Zweifeln zerfressen, wird zum Spiegel moralischer Heuchelei, und zu einer stummen Anklage gegen die Institution, der sie dient. Hinakos beide Freundinnen, die zwischen Loyalität, Hass und Furcht schwanken, zeigen, wie dünn die Grenze zwischen Mitgefühl, Egoismus und Selbstschutz sein kann. In ihren Interaktionen offenbart sich eine Welt, in der Nähe immer Gefahr und Verletzlichkeit bedeutet.
Einige Dialoge wiederholen sich zu oft und hemmen den Fluss, doch die Flashbacks kompensieren das: In stillen, schmerzhaft intimen Rückblenden begreift man endlich, warum Hinako nicht mehr unterscheiden kann zwischen Schuld und Selbsthass; und warum sie trotzdem weiterkämpft.

Silent Hill f – Gameplay & Mechaniken
Mechanisch wagt Silent Hill f den größten Schritt der Reihe seit Jahren. Das neue Kampfsystem erinnert eher an eine schwerfällige Variante von Bloodborne als an die beinahe ikonische Trägheit der alten Teile. Ausweichschritte, Parrys, Schnellmenüs und improvisierte Waffen machen die Begegnungen intensiver und taktischer – eine Bereicherung, die man sich rückblickend auch in den Klassikern gewünscht hätte. Doch der damit verbundene Fokus auf Monsterkämpfe erweist sich als zweischneidig: Was an Dynamik gewonnen wird, geht an Atmosphäre verloren.
Gerade jene dichte, beklemmende Stimmung, für die Silent Hill berühmt ist, getragen von Fingerspitzengefühl und einem meisterhaften Sounddesign, bleibt diesmal erstaunlich oft auf der Strecke. Auch das Ressourcenmanagement überzeugt nur bedingt: Pillen, Talismane, Süßigkeiten und improvisierte Heilkräuter überfrachten das Inventar schnell. Das erzeugt zwar einen gewissen Druck, wirkt jedoch mitunter künstlich begrenzt, vor allem, weil viele Items ähnliche oder gar redundante Effekte haben.
Die Rätsel schwanken zwischen brillant (etwa das Vogelscheuchen-Puzzle) und banal (Schlüssel, Wappen, Embleme suchen). Trotzdem: Wer die Geduld mitbringt, wird belohnt.
Grafik, Ästhetik & Sound
Visuell ist Silent Hill f ein Wechselbad: magisch schöne Lichtregie, fantastische Texturen, aber teils wiederverwendete Assets. Die zerfallenden Reisfelder, die verregneten Gassen und die pulsierenden Fleischblüten gehören zum Besten, was die Serie je gezeigt hat. Nur kleine Details, Möbel und Gegenstände in den Gärten und Häusern wirken generisch und willkürlich gesetzt.
Der Soundtrack von Akira Yamaoka ist diesmal leiser, fast kontemplativ. Statt auf markante Melodien setzt er auf unterschwellige Dissonanzen und Umweltgeräusche, die im Ohr bleiben wie ein Tinnitus. Stimmlich überzeugt besonders Suzie Yeung als Hinako, deren gebrochene, zornige Stimme oft mehr erzählt als die Texte. Produzent Motoi Okamoto beschreibt Silent Hill f als „Neuanfang ohne Nostalgie“ und Game Director Al Yang betont, dass psychologische Spannung Vorrang vor billigen Schreckmomenten habe, und das spürt man.

Wiederspielwert & Endenvielfalt
Nach dem Abspann ist Silent Hill f längst nicht vorbei. Das Spiel bietet ein klassisches New Game Plus, in dem sich zusätzliche Dialogoptionen, alternative Fundstücke und neue Albtraumsequenzen öffnen. Entscheidende Szenen, besonders Gespräche mit Hinakos Puppe oder Begegnungen mit Shu, verändern sich subtil, je nach moralischen Entscheidungen und psychischem Zustand im ersten Durchlauf. Insgesamt lassen sich mehrere Enden freischalten, die unterschiedliche Aspekte von Hinakos Schicksal beleuchten. Wer alle Varianten sehen will, muss nicht nur kämpfen, sondern auch die Welt und ihre Zusammenhänge verstehen. Mehrere Durchläufe sind sehr lohnenswert.
Fazit – Ein blühender Albtraum
Silent Hill f ist kein perfektes Spiel, aber eines der mutigsten der Reihe. Es verlässt die vertrauten Nebelgassen, um den Horror dorthin zu verlegen, wo er am realsten ist: in das Erwachsenwerden, in familiäre und gesellschaftliche Zwänge, in die unsichtbare Gewalt patriarchaler Strukturen. Der Schrecken entsteht hier nicht nur aus Monstern, sondern aus Erwartungen, Schuld und Scham. Und aus der Angst, nie die Kontrolle über das eigene Leben zu gewinnen.
Dass sich Silent Hill f dieser Themen annimmt, ist ein Wagnis und ein Triumph. Ryukishi07 und das Team schaffen es, psychologischen Terror mit Empathie zu erzählen. Der Suizid wird nicht romantisiert, sondern als letzter Ausweg einer Welt gezeigt, die zu eng, zu laut, zu ungerecht ist. Diese emotionale Ehrlichkeit macht das Spiel unbequem, aber auch bedeutsam: Es provoziert, es spaltet, es zwingt zum Nachdenken.
Silent Hill f ist keine Rückkehr zur Vergangenheit, sondern eine Konfrontation mit der Gegenwart. Es zeigt, dass Horror mehr sein kann als Schock und Blut, dass er Spiegel, Mahnung und manchmal auch Heilung ist. Wer in Silent Hill f nur Nostalgie sucht, wird enttäuscht werden. Wer aber bereit ist, sich den Abgründen patriarchaler Gewalt zu stellen, wird ein Spiel erleben, das noch lange nachhallt.

Silent Hill f – Informationen zum Spiel
Entwickler: NeoBards Entertainment
Publisher: Konami
Genre: Psychologischer Horror / Survival Horror
Plattformen: PlayStation 5, Xbox Series X|S, PC (Steam)
Engine: Unreal Engine 5
Release: 2025
Spielmodi: Einzelspieler
Setting: Japan, 1960er-Jahre
Spieldauer: ca. 12–15 Stunden (Hauptstory)
USK: ab 18 Jahren
Sprachen: Japanisch (Audio), Englisch / Deutsch (Untertitel)

