Außergewöhnlich, exzentrisch, etwas merkwürdig, düster aber immer besonders. Ja, das dürfte es ganz kurz umschreiben. Das wirklich ungewöhnlichste Spiel des Jahres ist für mich eindeutig Lost in Random. Alles ist irgendwie nicht so ganz, wie es zunächst erscheint und der Look scheint frisch aus einem Tim-Burton-Film entsprungen. Na, seid Ihr jetzt neugierig geworden? Dann begleitet uns doch in die phantastisch-düstere Welt von Random.
Charmantes Märchen
Eine Spielarena. Roboterritter und ein Würfel. Ein aussichtsloser Kampf.
Szenenwechsel: Spielende Kinder, welche die Zeit vergessen und nun schnellstens den Weg nach Hause antreten müssen. Doch bereits unterwegs merkt man, dass es nicht die Strafe der Eltern sein kann, welche die Kinder fürchten. Es ist die Königin von Random und ihr Gefolge, wovor die Bewohner zittern. Zuhause angekommen, in vermeintlicher Sicherheit, wird der Wurf eines Würfels über das Schicksal eines Kindes bestimmen.
Es ist der 12. Geburtstag von Odd. Eines der beiden Mädchen, die zuvor noch den langen Heimweg antreten mussten. Doch jedes Kind muss zu seinem 12. Lebensjahr um seine Zukunft würfeln. Allerdings scheint die Königin mit Odd etwas Besonderes zu planen und so fällt der Würfel, wie von Zauberhand bewegt, auf die 6. Even, die kleine Schwester von Odd, muss mit ansehen, wie die Königin ihre Schwester mit sich nimmt. Odd wird die eher unheilvoll wirkende Ehre zu teil, fortan ihr Leben unter den Sechsern verbringen zu dürfen. Denn das ist der Zweck der Würfelei: die Bestimmung des künftigen Lebens.
Nach und nach erfahren wir, dass Einser ein Leben als Müllsammler haben. Zweier leben in der schon etwas besseren Zweierstadt. Also, je höher die Augenzahl des Wurfes ist, umso besser könnte das künftige Leben sein. Als Sechser hat man es dann quasi geschafft und darf im Umfeld der Königin leben. Grund genug, dass Odds und Evens Eltern über den Umstand ihr ältestes Kind nie wieder zu sehen, doch eher sorglos sind. Nur Even wird von Alpträumen geplagt. Ein Jahr nach den Geschehnissen erscheint ihr ein Geist im Traum. Sie beschließt, ihm zu folgen und ihr Zuhause zu verlassen.
Schon bald gerät sie in Not und bekommt Hilfe von einem etwas ramponiertem Würfel, dem sie den Namen Dicey gibt. Dicey verfügt über die Fähigkeit, die Zeit anzuhalten und ermöglicht es Even Spielkarten im Kampf gegen die unheimlichen Schergen der Königin einzusetzen.
Einfach hinein
Tutorial? Fehlanzeige. Lost in Random schafft es, trotz einem nicht ganz unkompliziertem Kampfsystem, ganz ohne lästiges Tutorial- und Erklärgelaber auszukommen. Ganz Nebenbei wird einem alles sehr charmant von dem Erzähler beigebracht und kommt auch sofort zum Einsatz. Daher nimmt das Abenteuer auch zunächst recht langsam Fahrt auf. In den ersten Sequenzen jagt man eigentlich nur dem Geist hinterher und lernt in Gesprächen etwas über die Bewohner und deren per Würfel festgelegtes Schicksal.
Die Begegnung mit Dicey verändert dann das Spiel grundlegend und fortan muss Even auch recht harte Kämpfe gegen die Gefolgschaft der Königin bestreiten. Die Echtzeitkämpfe wirken zunächst extrem unfair. Während die Roboterritter mit Schwertern oder riesigern Hämmern ausgestattet sind, verfügt Even lediglich über eine kleine Steinschleuder. Geschickt eingesetzt, kann Even mit dieser Schleuder den Rittern aber kleine Würfel aus den Rüstungen schießen. Auf diese stürzt sich Dicey, sammelt sie ein und lädt sich dadurch auf. Sobald er zu Even zurückkehrt, kann sie den Würfel rollen und so in die Würfeldimension gelangen. Dort steht die Zeit für sie still und sie kann die Spielkarten einsetzen. Die Karten dienen zur Heilung, liefern ihr aber auch Waffen, die sie im Kampf gegen ihre übermächtig scheinenden Gegner einsetzen kann.
Lost in Random
Das Land ist in 6 Gebiete unterteilt, die düster und unheilvoll wirken. Bevölkert wird das ganze Land von äußerst phantasievollen, manchmal gruselig wirkenden Bewohnern. Ein Gespräch mit den Figuren, die direkt aus einem Tim-Burton-Film entnommen sein könnten, lohnt sich dann doch meistens. Hier gibt es Hinweise, aber auch Aufgaben, die Even immer ein Stückchen näher zu ihrer Schwester oder auch in den nächsten Kampf führen.
Kommentiert wird die Geschichte von dem Erzähler, der mit seiner leicht ironischen Art für einige heitere Momente sorgt und auch gerne einmal die vierte Wand zum Spieler durchbricht. So ist ein verlorener Kampf nicht in des Spielers Händen gescheitert, sondern seiner Erzählkunst geschuldet. Leider gibt es den Erzähler nur auf englisch. Die deutschen Untertitel sind allerdings einwandfrei und brillant übersetzt, auch wenn der ein oder andere Wortwitz in der Übersetzung etwas leidet.
Was bleibt?
Lost in Random versteht den Drahtseilakt zwischen Action und Adventure, zwischen Märchen und Alptraum und auch zwischen Melancholie und Leichtigkeit. Die Geschichte um Odd und Even bleibt spannend und die Erlebnisse der kleinen Even gehen unter die Haut.
Das Setting bleibt sich durchweg treu und überrascht dann wieder nicht. Während es auch einige wenige „normale“ Menschen gibt, sind die meisten Einwohner von Random verzerrte Gestalten, langbeinige Monster oder mehräugige Gruselwesen. Die Aufgaben der Bewohner sind zumeist einfach gehalten, offenbaren aber sehr häufig eine langwierige Suche nach einem oder mehreren Gegenständen. Da hätte ich mir etwas mehr Abwechslung gewünscht. Die sechs Gebiete unterscheiden sich optisch auch nur wenig. Hier hätte es auch etwas abwechslungsreicher sein dürfen. Obwohl es inhaltlich in den sechs Städten sehr unterschiedlich zugeht. Von der Müllhalde, über die psychotische Zweierstadt, das kriegsgerüttelte Gebiet bei den Dreiern und das sündige Casino-Millieu bei den Vierern, alles ist gleichermaßen düster und trist
Dies alles, gepaart mit einem cleveren Kampfsystem, welches taktische Manöver erfordert und dadurch richtig fordert, macht Lost in Random interessant. Auch wenn sich das Kampfsystem zunächst kompliziert anhört, so macht es aber sehr viel Sinn und geht auch recht schnell in Fleisch und Blut über.
Lost in Random – Wermutstropfen
Ein, zugegebenermaßen kleines, Haar in der Suppe gibt es kurz vor dem Schluss aber doch. Die Steuerung ist etwas schwerfällig oder eben schwammig. Es ist zwar nicht so wichtig, da es keine Geschicklichkeitspassagen o. ä. gibt, allerdings macht es sich dennoch von Zeit zu Zeit bemerkbar, dass sich Even nicht schön flüssig bewegen lässt.
Fazit
Lost in Random macht wirklich das Meiste richtig. Immerhin wurde es auch zum besten Indie-Game der Gamescom 2021 gewählt. Die Story ist spannend inszeniert und liebevoll-witzig erzählt, die Optik scheint durchdacht und ist so schön düster, das Kampfsystem scheint kompliziert, ist es jedoch nicht. Das kleine Manko mit der Steuerung kann vernachlässigt werden. Wer sich darauf einlässt, erlebt mit der kleinen Even und dem treuen Dicey ein großes Abenteuer, welches ich allen Fans des Genre als Geheimtipp ans Herz legen kann.
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Lost in Random ist seit dem 10. September 2021 für PC, Nintendo Switch, Sbox One, Xbox Series X/S, PS4 und PS5 erhältlich.