Dispatch Test/Review der kompletten Season

    Quelle: AdHoc

    Dispatch wirkt bereits nach den ersten zwei Episoden wie ein Projekt mit enorm viel erzählerischem Potenzial. Je weiter man sich durch die insgesamt acht Folgen arbeitet, desto deutlicher wird, dass hier weniger ein klassisches Spiel vorliegt, sondern vielmehr ein interaktiver Film, der Gameplay eher als Werkzeug für seine Geschichte nutzt. Wer jedoch bereit ist, sich genau darauf einzulassen, findet in Dispatch eine der unterhaltsamsten und am besten erzählten Superheldengeschichten der letzten Jahre.

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    Eine Superheldenwelt, die lieber lacht als posiert

    Dispatch folgt einer Gruppe ehemaliger Superschurken, die ihr Leben umkrempeln und nun als sogenannte Z-Team-Helden auf Abruf Gutes tun sollen. Der Spieler schlüpft in die Rolle ihres Chefs Robert Robertson, einem ehemaligen Helden, der von seinem Büro in Los Angeles aus die Funksprüche koordiniert, Teamkonflikte moderiert und versucht, dieses chaotische Ensemble zusammenzuhalten. Der Humor ist direkt, laut, schmutzig und bewusst überspitzt. Die Dialoge sind vollgepackt mit Slapstick, Schimpfwörtern, sexuellen Anspielungen und popkulturellen Seitenhieben. Gleichzeitig ist die gesamte Erzählung überraschend geerdet, weil sie sich traut, die Trope des gesichtslosen Superheldentums bewusst zu durchbrechen. Statt Hochglanzmoralismus gibt es hier Figuren mit Fehlern, Neurosen und einer Vergangenheit, die sie ständig einholt.

    Dass die Charaktere trotzdem so schnell ans Herz wachsen, liegt an der hohen Qualität der Sprecherleistungen. Besonders Aaron Paul verleiht Robert Robertson genau die richtige Mischung aus Überforderung, Zynismus und unterschwelliger Wärme. Viele Dialogzeilen, die auf dem Papier eher banal oder überzogen wären, funktionieren durch ihre Betonung plötzlich erstaunlich gut.

    Story vor Spiel

    Die interaktiven Elemente von Dispatch sind bewusst reduziert. Der Titel setzt primär auf Filmsequenzen, zwischen denen der Spieler kurze Entscheidungen trifft, gelegentlich ein Minispiel absolviert oder ein paar QTEs antippt. Der Großteil des Fortschritts erfolgt über Dialogoptionen, von denen einige tatsächlich Einfluss auf spätere Szenen haben, während andere hauptsächlich die Stimmung im Team beeinflussen. Das Spiel ist dabei clever genug, die Illusion von Einfluss aufrechtzuerhalten, obwohl die Hauptgeschichte immer auf denselben Höhepunkt zusteuert. Die Balance ist gut getroffen: Es fühlt sich an, als würde man im richtigen Moment die Weichen stellen, ohne dass der Titel vorgibt, ein tiefes Rollenspielsystem anzubieten. Es macht dabei durchweg Spaß und bietet eine unfassbare Spannung, wie bei einer sehr guten Serie, die man einfach nicht aufhören will zu schauen.

    Der Dispatcher-Alltag ist chaotisch, stressig und erstaunlich fesselnd

    Den spielerischen Kern bietet das Dispatch-Minispiel, in dem man von Roberts Schreibtisch aus Einsätze koordiniert. Auf der Stadtkarte tauchen nach und nach Notrufe auf, und es gilt, die passenden Teammitglieder an die richtige Stelle zu schicken. Jeder Z-Teamer hat eigene Stärken, Schwächen und Spezialfähigkeiten, wodurch einige Missionen nur mit der passenden Besetzung erfolgreich abgeschlossen werden können.

    Der Reiz entsteht aus dem Mikromanagement: Welche Figur ist gerade im Einsatz, wer braucht eine Pause, wen schicke ich trotz schlechter Eignung wohin, weil die Zeit drängt? Dieses System entwickelt sich im Laufe der Episoden überraschend süchtig machend und bringt die nötige spielerische Abwechslung ins Geschehen. Problematisch ist allerdings die Benutzeroberfläche. Gerade im späteren Verlauf, wenn die Karte voller Icons ist, wird das Navigieren mit dem Controller unnötig fummelig. Die Steuerung fühlt sich klar nach Maus oder Touchscreen an und verliert durch die Konsolenbedienung etwas an Präzision.

    Animation und Präsentation auf Streaming-Niveau

    Dispatch ist visuell beeindruckend. Die Animationen wirken hochwertig, stilistisch selbstbewusst und könnten problemlos in einer professionellen Streamingproduktion bestehen. Actionszenen sind dynamisch inszeniert und werden, selbst wenn die QTEs deaktiviert sind, zu einem echten Highlight. Auch der Soundtrack setzt eigene Akzente. Synth-Elemente und elektronische Beats unterstützen das Tempo der Inszenierung und verschmelzen sehr gut mit dem humorvollen Ton der Geschichte. Es fühlt sich in jedem Moment und in jeder Szene einfach durchweg hochwertig an und sieht mitunter unfassbar gut aus. In dieser Optik und mit diesen Charakteren muss also auf jeden Fall eine zweite Season folgen.

    Humor zwischen brillant und gewöhnungsbedürftig

    Die Comedy in Dispatch ist sehr amerikanisch, sehr schnell und oft sehr derb. Manche Gags sitzen perfekt und sorgen für echte Lacher, während andere bewusst übers Ziel hinausschießen. Der Titel ist sich seiner Übertreibungen bewusst und spielt damit, aber wer nichts mit dieser Art Humor anfangen kann, wird vermutlich früh abschalten wollen. Dass viele potenziell unangenehme Textstellen durch hervorragendes Voice Acting aufgefangen werden, ist einer der Gründe, warum Dispatch trotz mancher flacher Momente durchweg unterhaltsam bleibt. Und dafür sorgen natürlich auch die sehr gut gewählten Schauspielenden, die für die Rollen gewählt wurden. Aaron Paul als Protagonist steht da anderen wie einer Laura Bailey in nichts nach und es macht einfach Spaß den ganzen sehr erwachsen gewählten Themen und Gesprächen zu lauschen.

    Fazit

    Dispatch ist weniger ein Spiel als ein stark erzähltes, interaktives Serienerlebnis, das seine Zuschauer ernst nimmt, ohne sich selbst zu ernst zu nehmen. Die Figuren wachsen einem über die acht Episoden hinweg spürbar ans Herz, die Animationen bewegen sich auf bemerkenswert hohem Niveau, und der Humor trifft, sofern man sich auf ihn einlassen kann, erstaunlich oft ins Schwarze. Die spielerischen Elemente sind etwas dünn, aber genau dosiert, um das Erlebnis nicht zu stören, und der Dispatcher-Part entwickelt im Verlauf überraschend viel Tiefe. Trotz kleiner Schwächen bei der Steuerung bleibt Dispatch ein erfrischend ungewöhnlicher und immens unterhaltsamer Ausflug ins Superhelden-Genre. Spielt dieses Spiel, wenn ihr auch nur irgendwas für interaktive und narrative Erlebnisse im Bereich der Videospiele habt.