Die Sache mit Gran Turismo 7 lässt mir seit Tagen keine Ruhe. Obwohl ich das Spiel wirklich, wirklich mag, sind da ein paar Dinge, die man einfach nicht ausblenden kann und auch nicht darf. Und das bringt mich zu einer These, die in den vergangenen Tagen immer mehr Gestalt in mir nahm:
Sony missbraucht uns und andere Gaming-Webseiten für gute Werbung
Mag zunächst wie eine steile These klingen, auch „missbraucht“ ist schon ziemlich stark in seiner Aussage. Im Folgenden möchte ich darlegen, warum sich mir dieser Eindruck erweckt.
Zunächst muss man vielleicht ein wenig die Wechselbeziehung von uns hier als Gaming-Webseite und den Spieleentwicklern erläutern. Das, was wir hier machen, gilt im Grunde auch für alle anderen Seiten ähnlichen Formates gilt. Relativ egal ist es dabei, wie groß (= Reichweite) eine Seite hat, hier und da bestimmen begrenzte Musterkontingente, welches Magazin ein Testmuster erhält und welches eben keines.
Im Falle von Gran Turismo 7 erhielten wir bereits einige Tage vor dem offiziellen Release ein Muster für Playstation 5. Der Vorteil einer solch frühzeitigen Vergabe von Spielen zum Zwecke einer Rezension liegt auf der Hand: Wir hier können schon möglichst frühzeitig ins Spiel eintauchen und bekommen bis zur Veröffentlichung viel Vorab-Spielzeit. Der Publisher hat seinerseits den Vorteil, dass bis zum Release die Bemusterten alle ihre Reviews fertig haben und dann pünktlich zum Glockenschlag alle ihre Test raushauen.
Konkret auf GT7 bezogen hob Sony bereits vor dem offiziellen Verkaufsstart für die großen Gaming-Webseiten das Embargo für Testartikel. Sowas machen Publisher nur allzu gerne, wenn sie sich sicher sind, dass ihr Spiel positive Resonanz einfahren wird. Und damit lagen sie richtig, quer durch die Bank fuhr Gran Turismo 7 sehr hohe Wertungen ein. Macht euch einfach selbst den Spaß und schaut euch um auf den einschlägigen Seiten.
Fakt ist: Vor dem Release von Gran Turismo 7 am 4. März 2022 hatten alle nationalen und internationalen Gaming-Seiten mit Rang und Namen ihre Test veröffentlicht und nahezu alle auch eine heraussagende Endwertung verteilt. So weit, so normal.
Gran Turismo 7 war für mich eine Rückkehr zu den Wurzeln der Spielserie, die es schon damals so großartig machte. Warum ich dem Rennspiel eine finale Wertung von hervorragenden 88% gab, könnt ihr hier im Test gerne nachlesen. Und zum damaligen Zeitpunkt stand für mich die Wertung schlichtweg außer Frage.
Wichtig für die oben gestellte These ist nun die Betrachtung des Zeitpunkt unmittelbar nach dem Release von Gran Turismo 7. Die Kritiken waren also bereits alle da und genau ab diesem Moment geriet alles ins Wanken.
Denn kurz nach Release, spätestens aber mit Patch 1.07 fing Sony an, die in-game Ökonomie komplett zu verändern. Vorab war schon klar, dass wir es im Spiel mit Live-Services zu tun haben werden. Was letztlich nichts anderes ist, als ein Hinweis durch die Blume, dass man mit echtem Geld Dinge (Credits) im Spiel kaufen kann. Eine etwas unschöne Geschichte bei AAA-Spielen im Vollpreissegment, aber sei es drum. Man kann die Hinweise zu Käufen ja einfach ausblenden – wobei das im Falle von Gran Turismo 7 nicht so ohne weiteres geht. Schon auf der Startseite wirbt das Spiel ziemlich penetrant damit, doch mal im Store nach den Geldpaketen zu schauen.
Das Problem geht aber tiefer. Mit dem Patch fing man an, die Preise für Autos zu heben und gleichzeitig die Preisgelder zu senken! Sony versuchte es mit einer Verschleierung in den Patch-Notes, da man im Gegenzug die Preise einiger weniger Wagen senkte und auch ebenso wenige Preisgelder erhöhte. Auf reddit findet ihr Beiträge findiger Gamer, die den Preisanstieg seit dem Vorgänger Gran Turismo Sports errechnet haben. Heraus kam eine Preissteigerung von 800% für exakt den gleichen Wagen!
In der Summe ist nun deutlich mehr grind notwendig als vorher, hier kann ich gerne nochmals ein Beispiel aus einem vorherigen Artikel rezitieren:
„Wollt ihr den Rennwagen Mclaren F1 euer Eigen nennen, dann werden dafür 18,5 Millionen Credits nötig. Spielt ihr eine Meisterschaft, gewinnt die drei Rennen (pro Rennen gewinnt ihr 50.000) und heimst am Ende noch den Gesamtsieg ein (bringt 100.000), dann bekommt ihr in der Summe 250.000 Credits. Ihr müsstet also 74x die Meisterschaft fahren und gewinnen, um euch den Wagen leisten zu können.“
Um jetzt den Bogen zur Einleitung zu spannen: Sony musste bereits diese Pläne vor dem Release von Gran Turismo 7 gehabt haben. Man hielt sie aber bewusst zurück, um für gute Publicity zu sorgen, was am Ende zu mehr Verkäufen führt. Ich bin mir zu 100% sicher, dass GT7 deutlich schlechtere (realistischere muss man jetzt wohl sagen) Endwertungen eingefahren hätte, wäre diese Mechanik bereits zum Start der Tests implementiert gewesen. Ich für meinen Teil werde die Wertung von 88% nicht reduzieren, da sie für mich zum damaligen Zeitpunkt sonnenklar war. Würde man mich heute fragen, ich würde deutlich weniger Punkte vergeben.
Wie war das mit „for the players„? Ist wohl doch eher ein „for the shareholders„
Man kann das alles auch sehr gut in einem einzigen Bild zusammenfassen, nämlich der aktuellen Wertung bei Metacritic.
Während die Fachpresse satte 87% in ihren Vorab-Tests vergab, zeigt die Stand-Jetzt-Wertung von Spielerinnen und Spielern mit 1.7 ein deutlich anderes Bild:
TL;DR:
Gran Turismo 7 macht Spaß, keine Frage. ABER: Als Käufer zahlt man 70-80€ und wird dann beim Startbildschirm zu in-game Käufen aufgefordert? Always-On zwingt Einzelspieler zu langen Ausfällen, falls mal wieder die Server down sind (zuletzt am Donnerstag für über 24h)? Und dann werden die Belohnungen so dermaßen gesenkt, dass man mehr grinden muss als bei jedem MMO dieser Welt? Come on, so nicht!