Amoklauf, Amoklauf, Menschenleben gehen dabei drauf…und die Spiele sind schuld!
Am 20. April 1999 sollten die USA erschüttert werden, als zwei jugendliche Schüler namens Eric Harris und Dylan Klebold mit dem Amoklauf an der Columbine High School ein unbeschreibliches Massaker anrichteten. Während die Nation schockiert war, wurden natürlich schnell die Verantwortlichen gefunden: brutale Videospiele und Musik.
Die New York Times schrieb in einem Artikel wenige Tage nach dem Amoklauf
News analysts have dwelled on the ominous details of the leisure pursuits of the youths, Dylan Klebold, who was 17 years old, and Eric Harris, 18. The boys had obsessively played cartoonishly bloody video games like Doom and Quake, worn the black clothing long favored by hard-rock fans and listened to the operatically gruesome music of Marilyn Manson and the German bands Rammstein and KMFDM.
Quelle: New York Times
Man sollte eigentlich der Meinung sein können, dass solche Taten mitunter durch die äußeren Umstände zustande kommen als durch das Spielen von brutalen Videogames oder dem Hören von Musik; die amerikanische Öffentlichkeit hatte ihre Schuldigen jedoch bereits ausgemacht. Und auch wenn Videospiele ein Katalysator für die Meinung der US-Öffentlichkeit waren; in ihren Augen war der Hauptschuldige kein Spiel, sondern ein Künstler; und dieser war Marilyn Manson.
In der oscarprämierten Dokumentation Bowling for Columbine von Michael Moore kam Manson dann selbst zu Wort, nachdem er viele Jahre lang für das Massaker mitverantwortlich gemacht wurde. Damals gab es eine regelrechte Hetzjagd gegen den Mann, der wie kaum ein Zweiter das ideale neue Feindbild der amerikanischen Öffentlichkeit darstellte. Was Marilyn Manson in Bowling for Columbine zu sagen hatte, betraf auch die Gaming-Industrie und brachte das Ganze eigentlich auf den Punkt.
The two by-products of that whole tragedy were, violence in entertainment, and gun control. And how perfect that that was the two things that we were going to talk about with the upcoming election. And also, then we forgot about Monica Lewinsky and we forgot about, uh, the President was shooting bombs overseas, yet I’m a bad guy because I, well I sing some rock-and-roll songs, and who’s a bigger influence, the President or Marilyn Manson? I’d like to think me, but I’m going to go with the President.
Marilyn Manson in Bowling for Columbine
Man sieht also, dass es diese Feindbilder meistens aus politischen Profilierungsgründen gibt.
In der Hinsicht scheint jeder Politiker gleich gepolt zu sein, und auch wenn Amerika endlos weit weg zu sein scheint: auch wir Deutschen haben Probleme. Die Profilierungssucht der Politiker und die Probleme des deutschen Jugendschutzes in den Augen eben jener Politiker sollte sich nach dem 26. April 2002 auf einem ganz neuen Level zeigen.
Der Amoklauf von Erfurt und seine Folgen oder: Killerspiele sind böse, auch wenn sie nicht gespielt werden
An eben jenem 26. April 2002 ereignete sich in Deutschland eine Tat, die von vielen nicht erwartet worden war. Der 19jährige Robert S. stürmte mit einer Pumpgun und einer 9mm-Pistole bewaffnet seine ehemalige Schule und richtete dort ein Blutbad an.
Am Ende waren – den Attentäter mit eingeschlossen – 17 Tote, überwiegend Lehrkräfte, zu beklagen.
Nach der Tat wurde über die Ursachen diskutiert, und schnell fanden sich in den Medien vermehrt Berichte, die an die Amoktat vom April 1999 in den USA erinnerten.
Wir erinnern uns: hier wurde hauptsächlich einem Musiker die Schuld gegeben (Marilyn Manson), während brutale Videospiele zwar eine Vermutung waren, aber nicht so sehr von der Presse ausgeschlachtet wurden. Nach dem Erfurter Amoklauf änderte sich das gravierend.
Nicht nur, dass nun eine weitere Gruppe aus dem Rock-Bereich – in diesem Falle Slipknot – sich den Vorwurf gefallen lassen musste, für das Massaker mitverantwortlich zu sein; die Hetzjagd ging sogar soweit, dass Slipknot Songs angedichtet wurden, die sie nicht einmal veröffentlicht hatten.
Der ominöse Titel School Wars war nichts weiter als ein dämlicher Mythos, dem die Presse aufgesessen war und den sie natürlich unermüdlich weiter verbreiteten, bis das dumme Volk natürlich davon ausgehen konnte, dass dieser Titel von exakt dieser Band stammen muss und dass S. diesen Titel vor seiner Tat gehört und die Tat natürlich deswegen begangen hatte.
Weitere Schuldige waren schnell gefunden, und diese hießen natürlich Brutale Videospiele.
Musterexemplar laut Presse war hier Counter Strike, eigentlich DER Taktikshooter schlechthin und auch heute noch auf vielen E-Sports Wettbewerben vorzufinden.
Laut Presse soll Counter Strike mitverantwortlich gewesen sein dafür, dass S. in seiner Fantasie die Tat geplant und dann letztendlich im realen Leben umgesetzt hatte.
Wie sich im Nachhinein herausstellen sollte, hat sich S. zwar für einige Titel interessiert, die im Nachhinein dann auch indiziert wurden (falls nicht bereits schon geschehen); für Counter Strike interessierte er sich allerdings kein bisschen.
Da stellt sich natürlich die Frage, welche Macht die Presse hat und wo die eigentlichen Gründe für diese Tat lagen.Die Antwort scheint – in Anbetracht der Tragweite der Tat bitten wir den Ausdruck zu entschuldigen – in den Augen eines Menschen mit gesundem Menschenverstand so einfach:
S. wurde bedingt durch eine Urkundenfälschung von der Schule verwiesen. In Thüringens Schulen bedeutete zu der Zeit ein abgebrochenes Gymnasium auch nach der 10ten Klasse keinen Abschluss; in anderen Bundesländern hatte man hier in der Regel die Reife inne.
Die Situation war für den Attentäter also äusserst verfahren; und auch wenn man keine Entschuldigung für so eine Tat finden kann und möchte: es macht das ganze Geschehen nachvollziehbar.Für die Presse und die Familien der Opfer war dies natürlich eine zu einfach Erklärung, man hätte sich ja eingestehen müssen, dass es mehr Probleme gab als nur ein bisschen Musik und brutale Videospiele; und das ist ja unhaltbar, nicht wahr?
Es kam, wie es kommen musste: sämtliche Politiker erhoben sich von ihren Sitzen und die einhellige Meinung war
„Videospiele sind böse, Musik ist böse, Waffen sind böse…jetzt, wo es zu spät ist, müssen wir was tun, damit es nie mehr passiert!“.
Wie sich wenige Jahre später herausstellen sollte; verhindern auch massive Verbote und erschwerte Bedingungen zum Erwerb einer Schusswaffe solche Taten nicht, aber dazu später mehr.
Novelle des Jugendschutzgesetzes und des Waffengesetzes
Als direkte Reaktion auf den Amoklauf wurde kurze Zeit später das Jugendschutzgesetz reformiert und die USK-Kontrollen für Videospiele wurden spätestens jetzt verpflichtend. Der Vorteil für Publisher war nun, dass ein einmal geprüftes Spiel, welches mit den verschiedenen Freigaben versehen wurde, von einer evtl. folgenden Indizierung oder gar Beschlagnahmung verschont blieb.
Der Nachteil war klar: nun hatten Publisher die Möglichkeit, ihre Spiele so oft vorzulegen, bis sie den Jugendschützern passten…eine Möglichkeit, die für viele Verstümmelungen bei manchen Spielen sorgte, weil man die Cash-Cow Deutscher Spieler natürlich ganz besonders auspressen wollte.
Auch das Waffengesetz wurde reformiert; der Erwerb von Schusswaffen wurde nun erschwert und auch einige Waffenarten, wie die – umgangssprachlich – sogenannte Pumpgun, wurden in Deutschland mit Verboten versehen.
Man könnte also meinen, dass sich nun alles zum Guten wenden würde. Aber, wie so oft im Leben, hat das Schicksal und die Geschichte leider ihre eigenen Antrieb, und so kam es, wie es kommen musste: allen Verboten zum Trotz passierte auch in Deutschland weiterhin, was nicht passieren durfte.
Während die Amokläufe von Coburg und Emsdetten in den Medien relativ wenig Aufsehen erregten – weil hier zwar Personen verletzt, Todesopfer aber nur in Form der Täter zu beklagen waren – sollte ein Amoklauf im Stuttgarter Umland noch einmal einen Aufschrei verursachen und Gamer unter generellen Verdacht stellen.
Winnenden oder: Geschichte wiederholt sich
Am 11. März 2009 fand ein weiterer Amoklauf an einer Realschule in Winnenden statt, bei der am Ende – den Attentäter mit eingeschlossen – 16 Todesopfer und mehrere Verwundete zu beklagen waren.
Der 17-jährige Täter Tim K. – der (laut Presse) unter sehr schwierigen, psychischen Problemen litt – entwedete eine nicht unter Verschluss gehaltene Waffe seines Vaters und schoss in der Schule und auf der Flucht um sich; und nach einer mehrstündigen Odyssee durch die Stuttgarter Umgebung richtete er sich nach einem Feuergefecht mit der Polizei selbst.
Als Mensch mit einem gewissen Verstand könnte man nun meinen, dass die psychischen Probleme des Täters, welche überwiegend von seriösen Medien aufgegriffen wurden, in den Vordergrund gestellt würden; dies war allerdings nicht der Fall.
Zwei große Vorwürfe standen im Raum. Der Erste, und dieser ist unbestritten:
K.’s Vater bewahrte die Pistole unverschlossen im Schlafzimmerschrank auf; und der Täter wusste dies.
Spätere Vorwürfe und gar Verurteilungen des Vaters aufgrund dieser Nachlässigkeit wurden erhoben; wobei kaum einer bedacht hat, dass K. auch theoretisch einfach seinen Vater im elterlichen Haus hätte töten und den Schlüssel für den Schrank an sich nehmen können. Gesunder Menschenverstand setzt eigentlich voraus, dass man auch solche Eventualitäten bedenkt, wenn man jemanden verurteilt.
Und man bedenke: wer bereit ist, einen Amoklauf zu starten; der ist mit Sicherheit auch bereit, im Fall der Fälle einfach jeden zu töten.
Wie auch immer: der Vater wurde hier verurteilt, weil er mit einem ordnungsgemäßen Verschließen der Waffe im Schrank die Tat hätte verhindern können.
Punkt Nr. 2 waren natürlich, wie könnte es anders sein, brutale Videospiele; spätestens seit Erfurt auch Killerspiele genannt.
Und die Presse war sich nicht mal einig, was denn jetzt ein Killerspiel sei; Nennungen im Zusammenhang wie World of Warcraft und Final Fantasy – welche beide mit einer USK-Freigabe ab 12 Jahren (!!!) auf dem deutschen Markt erhältlich sind – sorgten bei Gamern nicht nur für fassungsloses Kopfschütteln, sondern auch für ein generelles Misstrauen gegenüber der Presse.
Die Eltern der Opfer fanden ihre eigenen Wege, um sich an der Diskussion zu beteiligen; und mit der Gründung des Aktionsbündnis Amoklauf Winnenden sollten auch sie sich an der Hetzjagd beteiligen.
Gegründet wurde der Verein mit den Zielen
- verstärkte Gewaltprävention
- Sensibilisierung von Eltern für den Medienkonsum ihrer Kinder
und natürlich
- dem Verbot von Killerspielen
Letzterer Punkt ist natürlich in Anbetracht der kurz vorher erwähnten Definition ein weiter Begriff; als alter Hase im Gamingbereich könnte man voller Sarkasmus sogar Mario als Killerspiel bezeichnen.
Man darf das nicht falsch verstehen.
Selbstverständlich waren es einfach Taten voller Wahnsinn, und es sind unschuldige Menschen dabei ums Leben gekommen. Das alleine ist schlimm genug.
Aber wieso will man, darauf aufbauend, eigenständigen und intelligenten und – vor allem – erwachsenen Personen den Zugang zu Entertainment, also Unterhaltung, verbieten?
- Weil jemand, der solche Spiele spielt, automatisch eine geringere Selbstbeherrschung besitzt?
- Weil jemand, der solche Spiele besitzt, automatisch geistesgestört sein soll?
- Weil jemand, der sich in einer virtuellen Scheinwelt auch taktische Schlachten liefert, im realen Leben der Superkiller schlechthin sein wird?
(Dass die Amerikaner in mancherlei Hinsicht wohl nicht ganz dicht sind, ist ein unbestreitbarer Fakt. Aber selbst die US Army setzt Spiele ein, um die Reaktionen ihrer Rektruten zu testen und um neue Rekruten zu erwerben). Auf jeden Fall fand auch die Politik einen gemeinsamen Konsens, wie immer; auch hier wurde wieder viel um den heißen Brei herumgeredet.
Im Landtag von Baden-Württemberg wurde ein Sonderausschuss „Konsequenzen aus dem Amoklauf in Winnenden und Wendlingen – Jugendgefährdung und Jugendgewalt‘ einberufen. Dieser sammelte und konkretisierte Vorschläge, dass „Amokläufe weniger wahrscheinlich werden“. Auch Vertreter des Aktionsbündnisses Winnenden waren daran aktiv beteiligt. Über die in der Öffentlichkeit breit diskutierten Themen hinaus erarbeitete dieser „Konkrete Handlungsempfehlungen und weitergehende Handlungsfelder“.Die 39 Handlungsempfehlungen orientieren sich an den fünf Themenfeldern des Sonderausschusses:
- Gewaltprävention bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen
- Zugang zu Waffen
- Gewaltdarstellung in Medien, u. a. in Computerspielen
- Sicherheitsmaßnahmen an Schulen
- Stärkung des Erziehungsauftrags der Eltern
Quelle: wikipedia.de
Punkt Nr. 5 ist ein Punkt, den die meisten Eltern leider nicht wahrhaben wollen; für diejenigen, die wie mancher von uns im Spieleverkauf arbeiten, ist es manchmal echt schlimm zu sehen, was die Eltern ihren Kids kaufen; aber auch uns sind die Hände gebunden.
Fakt ist aber auch, dass es nicht immer nur auf brutale Killerspiele oder gewalttätige Filme ankommt; manchmal reicht auch systematisches Mobbing, wie im Falle des Amoklaufes von Ansbach; bei diesem spielten Videospiele keine Rolle, sondern der Täter wurde in der Schule gemobbt.
Glücklicherweise gab es bei diesem Amoklauf keine Toten; was man auch an der Berichterstattung gemerkt hat. Diese hielt sich relativ in Grenzen; entweder, das Volk ist abgestumpft oder es gibt andere Gründe.
Als Gamer kann man sich die Gedankenblasen der verantwortlichen Redakteure bildlich vorstellen; ob dies allerdings der Wahrheit entspricht, weiß man nicht.
Was?
Keine Toten?
Nur gemobbt worden?
Keine Videospiele, die wir verantwortlich machen können?
Was gibt es denn dann zu berichten?
Eventueller Gedankengang eines Redakteurs einer großen Tageszeitung
Es gibt zwar einen Pressekodex, aber in mancherlei Hinsicht scheinen Journalisten der Boulevard-Presse auf diesen ja häufiger ein Häufchen zu setzen.
Die Leidtragenden sind dann Menschen wie wir, die sich den Vorwurf gefallen lassen müssen, in jedem Augenblick auszuticken und wahllos Menschen zu verletzen und zu töten; eine bittere Pille, die einem das Hobby Videospiele manchmal wirklich madig macht.
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