F: Wie empfinden sie den Rückblick auf P.L. Travers‘ Kindheit?
A: Beim Lesen des Drehbuchs ging es mir vor allem um die Plausibilität aus der Sicht von Disney. Ich war total überrascht, weil ich die Hintergrundgeschichte überhaupt nicht kannte. Aber ich war auch beeindruckt. Die künstlerische Arbeit ist ein tief gehender Prozess; es geht darum, was in der Seele des Schöpfers vorgeht. Im Drehbuch ist sehr gut hervorgekommen, was Pamela Travers‘ kreativer Antrieb war: ihr Vater, dieser wunderbare, aber instabile Mann, der trotz der Alkoholprobleme und den beruflichen Schwierigkeiten stets fröhlich und positiv blieb und all das, was da hineingespielt hat. Die Handlung spielt in nur zwei oder drei Wochen von 1961 und dann wieder zum Zeitpunkt der Premiere. Aber die Tatsache, dass die Hintergrundgeschichte so weit zurückreicht, zeigt eindrucksvoll, was man im Kino alles erreichen kann. Man kann Zeit und Raum überbrücken und direkt mit dem in Verbindung bringen, was in dem Augenblick auf der Leinwand vor sich geht. Ich empfand das als sehr beeindruckend und ganz egoistisch gesprochen fand ich, dass das Drehbuch den Mann Walt Disney haargenau porträtiert hat: charmant, fröhlich, optimistisch. Und wir alle stecken mit drin.
Es geht um die Entstehung von MARY POPPINS, nicht um die Dreharbeiten. Vielmehr erzählen wir, wie MARY POPPINS vom Buch in einen Film übertragen wird. Wir beleuchten den unschätzbaren kreativen Prozess, wie das Thema zuerst zu Papier gebracht wurde, um schlussendlich zu dem Film heranzuwachsen, den wir kennen. So kennt man diese Art von Geschichten bislang noch nicht. Was ist das Geheimnis hinter dem Filmklassiker?
F: Erzählen sie uns von Emma Thompson, die P.L. Travers spielt.
A: Emma ist eine Künstlerin ohne jegliche Allüren. Jedes Mal, wenn ich sie sehe, frage ich mich, wie sie das macht. Wieso schaut es bei ihr so einfach aus? Wie schüttelt sie es einfach aus dem Ärmel? Bei unserer gemeinsamen Arbeit ist jedes Mal der Funke zwischen uns übergesprungen. Pamela hingegen verbarg etwas, das Disney erst ganz zum Schluss gesehen hat. In einer Szene fragt Disney: „Möchten Sie mir nicht vielleicht verraten, warum das für Sie keine positive Erfahrung ist?“ Emma empfand Travers als eine Frau, die fast in Tränen darüber ausbricht, weil sie das, was sie möchte, nicht mitteilen kann und schon gar nicht einem Typen, von dem sie annimmt, dass er sich ohnehin nicht dafür interessiert. Diese Qualität zeichnet Emma aus – sie ist ihrem Umfeld immer einen Schritt voraus. Sie könnte kaum unterschiedlicher sein als diese alte englische Pute in ihrem Londoner Stadthäuschen, und dennoch hat sie ein untrügliches Gespür für die schrullige Britishness, die damit einhergeht.
F: Wie fühlte es sich an als Walt Disney?
A: Walt Disney ist zweifellos eine Legende und verdient das Museum auch, das ihm seine Familie im Presidio in San Francisco errichtet hat. Ich erinnere mich daran, wie ich als Kind jeden Samstagabend sehnsüchtig auf die Ausstrahlung von „Walt Disney’s Wonderful World of Color” wartete. Die besten Folgen waren immer die, in denen Walt Disney selbst von einem seiner neuen Projekte erzählte, etwa von der zauberhaften Tiki Hütte oder wie es nachts in Disneyland so ist. In diesen Momenten hatte ich das Gefühl, dass der reizendste Erwachsene, den ich kannte, die Aufregung über seine neuen Einfälle mit mir teilte. Man wollte natürlich sofort nach Disneyland fahren und mit jemandem wie Walt Disney herumhängen – schließlich war er in meiner Vorstellung der großzügigste Mensch auf dem Planeten!
Man kann Walt Disney nicht imitieren. Sein Tonfall spiegelte immer die Begeisterung wider für das, was in seinem Kopf vorging. Sei Geist sprudelte geradezu vor fantastischen Ideen und er konnte einfach nicht anders, als sein Umfeld mit seiner Begeisterung anzustecken. Und genau darum ging es mir. Er war stolz und glücklich über das, was er geschaffen hat und was daraus geworden ist. Tief drin wusste er, dass er es im Endeffekt alleine auf die Beine gestellt hatte. Er hatte zu allem, was er jemals vor laufenden Kameras geäußert hat, eine Bindung. Genau das wollte ich darstellen. Ich empfand die Darstellung von jemandem, der mit seinem Werk so verbunden war, als größte Herausforderung.
F: Walt wollte ja nicht nur Geschichten erzählen, sondern interessierte sich auch für Technik. Erzählen Sie uns davon!
A: Walt Disneys Fähigkeit zur Innovation, zur Weiterentwicklung einer Kunstform, geht auf seine beruflichen Anfänge in einer Garage in Kansas City zurück. Er machte einfach Sachen, die vor ihm noch niemandem eingefallen waren. Sie erfanden Techniken, um Zeichentrickfilme lebendiger wirken zu lassen als das echte Leben, zum Beispiel unter anderem die Multiplan-Kamera. Er steht in seinen visuellen Fähigkeiten den großen Regisseuren in Nichts nach. Denkt man an Spielberg, Edison, Orson Welles und alle anderen Legenden, spielen auch seine Innovationen in dieser Liga mit. Ich glaube er gehörte zu den Leuten, die sagen „so kann das ja Jeder… lass‘ es uns einfach mal auf eine neue Art versuchen.“ Das sah man seinen Arbeiten an – schon vor Micky machte er unglaublich lebendiges, frisches Zeug! Auf vielerlei Art erinnert er mich an Steve Jobs. Sein faszinierender Geist machte nie Pause und bis zum letzten Atemzug war er an vorderster Front, wenn es um Innovationen und technische Neuerungen ging.
F: Wurden Sie durch die Dreharbeiten zum Fan von Walt Disney?
A: Ja, denn ich habe so viel Neues entdeckt! Vor langer Zeit hatte ich eine Walt Disney Biografie gelesen, die mich wirklich faszinierte. Eigentlich ging es ihm um die Kunst, dummerweise stellte sich die als äußerst kostspielig heraus und jeder Nickel und Dime, den er ausgab, blieb ihm im Gedächtnis. Und trotzdem verlor er nie die Begeisterung für den Prozess des Filmemachens!
Zu den vielen spannenden Sachen, die er gemacht hat – und seinen Beweggründen – gehörte die Tatsache, dass er, sobald er genug Geld beisammen und die Walt Disney Studios eröffnet hatte, alle seine Zeichner in die Schule schickte! Er gründete buchstäblich die Cal Arts, die heute zu den weltweit besten Kunstschulen zählt. Er fand einfach, dass wir alle lernen sollten, wie Bewegung funktioniert. Ein Kleid bewegt sich auf eine ganz bestimmte Weise, wie macht man Wind sichtbar, oder das sich kräuselnde Wasser auf einem Teich und wirbelnde Blätter. Er nahm es auf sich, Geld in die Hand zu nehmen, um eine Schule dafür zu gründen. Er war ein wahrer Visionär. Ich besuchte das Walt Disney Family Museum in San Francisco und verbrachte dort einen vollen Tag. Es ist mittlerweile geschlossen, also war ich dort alleine. Diane schaltete die Technik ein, damit ich auch alles sehen konnte.
F: Wie war die Arbeit mit den anderen Darstellern?
A: Ich wünsche, ich hätte mehr Gelegenheit gehabt, mit ihnen zu drehen. Ich stand mit Kathy Baker vor der Kamera, die meine Sekretärin spielte; und natürlich mit Emma Thompson, was großartig war. Aber alle anderen beendeten ihre Drehs morgens und ich begann erst nachmittags mit dem Filmen. Aber die Besetzung ist toll, zum Beispiel Jason Schwartzman und B.J. Novak als Sherman Brothers. Mir gefällt die Dynamik der Sherman Brothers in ihrer Musik. Glücklicherweise konnte Jason gut genug Klavier spielen, um die Darstellung glaubwürdig und real hinzubekommen. Paul Giamatti und ich hatten auch nur eine kurze Szene zusammen, aber so ist es nun mal. All diese großartigen Schauspieler und ich haben uns jeweils nur beim Kommen oder Gehen zugewinkt.