In PARANORMAL ACTIVITY – DIE GEZEICHNETEN findet das Böse sein nächstes Opfer in der Latino-Gemeinde von Oxnard, Kalifornien. Der Teenager Jesse wacht eines Tages mit einer merkwürdigen Bisswunde am Arm auf. Danach ist nichts mehr, wie es einmal war und seine Freunde kämpfen mit traditionellen Mitteln der lateinamerikanischen Hexenkunst um seine Seele. Wir haben zu diesen fremdartig anmutenden Ritualen einen ausgewiesenen Experten befragt: Prof. Dr. Bernd Schmelz ist Wissenschaftlicher Leiter des Museums für Völkerkunde in Hamburg und Mitglied des Lateinamerika-Zentrums der Universität Hamburg. Er hat sich in seiner Forschung intensiv mit den Themen Magie, Hexerei und Volksglaube in Lateinamerika auseinandergesetzt.
Herr Prof. Dr. Schmelz, Sie haben sich für uns PARANORMAL ACTIVITY – DIE GEZEICHNETEN angeschaut. Die wichtigste Frage gleich zu Beginn: Wie hat ihnen denn der Film gefallen?
Mir hat der Film sehr gut gefallen, ich habe mich gut unterhalten gefühlt. Man weiß natürlich, dass das ein fiktionaler Film ist und das ist auch gut so. Aber ich finde es gut, dass er bestimmte Dinge und kulturelle Traditionen aufgreift, die es auch in der Wirklichkeit gibt.
Die Lebenswelt der lateinamerikanischen Community ist im Film einerseits von einem tiefen christlichen Glauben, auf der anderen Seite aber auch von einem archaischen lateinamerikanischen Aberglauben geprägt. Ist das eine realistische Darstellung?
Ja, das ist realistisch. Der katholische Glaube ist dort absolut dominierend, allerdings gibt es auch noch so etwas wie eine Volksreligiosität, die die Leute selbst leben. Das ist ein Glaubenssystem, das noch beeinflusst ist von voreuropäischen Zeiten, eine Art magisches Weltbild. Das kann man aber nicht direkt als Aberglauben bezeichnen. Das machen wir im Westen zwar gerne, ist aber ein bisschen „von oben herab“. Aberglauben gibt es natürlich auch. Genau wie bei uns, wo manche Menschen Angst vor Freitag, dem 13. haben, haben die Menschen dort teilweise Angst vor Dienstag, dem 13. Aber das ist etwas anderes.
Auf dem Filmplakat ist eine Art Altar abgebildet, zentrale Figur darauf ist die an eine Madonna erinnernde Figur der „Santa Muerte“. Was hat es denn damit auf sich?
Wörtlich übersetzt heißt es „Der heilige Tod“. Es geht dabei aber nicht um eine personifizierte Darstellung des Todes, sondern es ist ein Kult um eine Figur, die in der Darstellung teilweise an die Jungfrau Maria erinnert. Die Santa Muerte wird in den lateinamerikanischen Gemeinden in Mexiko oder in den Communities in den USA teilweise als Heilige verehrt und in ganz bestimmten Dingen angerufen – vor allem in beruflichen Angelegenheiten, aber auch wenn es um Gesundheit geht oder in Liebesdingen. Man sagt, dass ihre Macht besonders stark ist und wenn man sich ihr einmal verschrieben hat, ist es gar nicht so leicht, wieder von ihr wegzukommen.
Im Film tauchen zwei Figuren aus der lateinamerikanischen Hexenkunst auf, die Brujos und Curanderos. Welche Rollen übernehmen sie im Volksglauben?
Der Curandero ist für die Heilung im weitesten Sinne zuständig. Also nicht nur im rein medizinischen Sinne wie bei uns, sondern auch für die Heilung von schwarzmagischen Einflüssen. Brujo ist ein wesentlich komplexerer Begriff. Alle, die mit magischen Dingen zu tun haben, werden im Volksmund als Brujos, also Hexenmeister, bezeichnet. Das ist im Gegensatz zur Bezeichnung „Hexe“ bei uns aber nicht abwertend gemeint, sondern respektvoll. Man kann also nicht sagen, dass die Curanderos die Guten und die Brujos die Bösen sind. Die Brujos und Curanderos sind mit der Migration auch in die lateinamerikanischen Communities auf der ganzen Welt gekommen, sie treten teilweise auch in Deutschland auf.
In den lateinamerikanischen Communities gehen die Leute also wie im Film wirklich oft zuerst zu den Curanderos statt zu einem „richtigen Arzt“?
Häufig wird zuerst ein Heiler aus der eigenen Kulturtradition aufgesucht. Ich habe es auch sehr oft erlebt, dass beides gemacht wird. Wenn jemand zum Beispiel eine schwere Operation in einem Krankenhaus anstehen hat, geht er trotzdem vorsichtshalber vorher zu einem Curandero, um sich von allen negativen und bösen Einflüssen befreien zu lassen. Man kann also nicht sagen, dass die einen nur zum westlichen Mediziner gehen und die anderen nur zu den traditionellen Heilern, sondern es wird auf beides zurückgegriffen. Ganz typisch ist, dass es, wie im Film, die Großmutter ist, die auf den Curandero zurückgreift. Aus ihrem Glauben heraus ist ihr klar, dass er in diesem Fall am ehesten helfen kann.
Ist denn die Hexenkunst auch für Jugendliche wie die Hauptfiguren im Film noch ein Thema oder ist sie da am Aussterben?
Ich denke nicht, dass diese Traditionen wirklich abnehmen oder gar aussterben. Die Dinge ändern sich sicherlich, weil bestimmte technolog. Einflüsse wie Internet u.ä. einfach da sind und eine Rolle spielen. Aber die Traditionen werden nach wie vor weitergegeben von den Großeltern an die Eltern an die Kinder, die wachsen damit auf. Für die ist das eine Selbstverständlichkeit, ich kann da keine Abnahme beobachten.
Im Film wird am Jugendlichen Jesse ein Ritual mit einem Hühnerei durchgeführt, das an Exorzismus-Rituale erinnert. Was passiert da genau?
Diese rituelle Reinigung mit einem Ei, im Normalfall einem Hühnerei, ist in Lateinamerika sehr weit verbreitet. Das ist noch kein Exorzismus, sondern eher eine rituelle, magische „Basisreinigung“, um alle negativen Einflüsse abzuwenden. Wenn der Curandero dabei feststellt, dass jemand von etwas Bösem total besessen ist, dann ist ein anderes Heilungsritual notwendig.
Es gibt also auch die Idee, dass jemand von einem Dämon besessen ist? Wie läuft das Ritual dann ab?
Die Idee, dass man von einem Dämon befallen oder besessen werden kann, ist wohl weltweit verbreitet. Wie dann die Rituale ablaufen, um den Besessenen wieder zu befreien, das ist von Community zu Community sehr unterschiedlich, auch regional sehr verschieden. In erster Linie setzt man dabei auf die Macht und die Kraft von katholischen Heiligen, mit denen man dann dem Dämon zu Leibe rückt. Die Santa Muerte spielt dabei auch eine Rolle in den Gebieten, in denen sie sozusagen ihre „Fangemeinde“ hat.
Welche anderen Symbole und Utensilien gibt es denn noch in der lateinamerikanischen Hexenkunst?
Bei vielen Ritualen spielen Kerzen eine sehr große Rolle, wie man das im Film sieht. Auch Opfergaben und der rituelle Kreis kommen im Film vor. Blumen sind ebenfalls wichtig, wie man sie auf dem Filmplakat sieht. In Mittelamerika wird oft Copal eingesetzt, das ist ein Baumharz, mit dem geräuchert wird. Dieser Weihrauch spielt eine ganz große Rolle für die Kontaktaufnahme zur übernatürlichen Welt, zu den Geistern und Göttern. Außerdem gibt es gewisse Essenzen, Mischungen, Öle und Duftwasser. Da haben die Curanderos meist eigene Mischungen nach Geheimrezepten, die sie nicht preisgeben.
Auf dem Filmplakat sind auch christliche Kreuze zu sehen, werden diese auch eingesetzt?
Das Kreuz ist ganz wichtig, da vermischt sich katholischer Glaube und Volksreligiosität. Die Heiler rufen Gott an, das christliche Kreuz gilt auch in den traditionellen lateinamerikanischen Gemeinden als ganz starkes Symbol. Das kann man alles nicht wirklich trennen. Natürlich gibt es katholische Hardliner, die die Volksreligion völlig ablehnen. Aber das sind Extrempositionen. Im Film tauchen auch Symbole aus dem europäischen Hexenglauben auf, also die Verbindung zum Teufel, der Schafsbock, die Widderhörner. Das kommt aus Europa, Einflüsse davon findet man dann aber natürlich auch in Lateinamerika.
Der Spin-Off PARANORMAL ACTIVITY – DIE GEZEICHNETEN ist seit 2. Januar in den Kinos und mit bisher fast 400.000 Zuschauern sensationell gestartet. Der Kampf gegen den grausamen Dämon geht im Oktober im regulären fünften Teil von PARANORMAL ACTIVITY weiter.
Quelle: PM