Sieht man Tears to Tiara II: Heir of the Overlord irgendwo im Laden stehen, wird man wahrscheinlich daran vorbeigehen ohne es eines zweiten Blickes zu würdigen. Und warum sollte man es auch näher betrachten, schließlich ist es der zweite Teil einer Reihe, deren Debut-Titel gar nicht erst hierzulande erschien.
Doch davon sollte man sich in diesem Fall nicht abschrecken lassen: Kenntnisse des Vorgängers sind bei diesem Spiel absolut nicht von Nöten, denn es spielt lediglich in demselben Universum, hat aber sonst kaum Berührungspunkte mit dem ersten Teil. Warum Tears to Tiara II: Heir of the Overlord ein ganz besonderer Geheimtipp für alle ist, die gleichermaßen auf Visual Novels und strategische Kämpfe stehen, und sich an der ausschließlich englischen Übersetzung nicht stören, erfahrt ihr in unserem Test:
Die Story – Ein episches Abenteuer
Tears to Tiara II: Heir of the Overlord spielt zu einer Zeit des Krieges in der Provinz Hispania, welche vom skrupellosen Empire unterdrückt und versklavt wird. Die Einwohner werden gezwungen horrende Steuern zu bezahlen, harte Arbeit im Namen ihrer Peiniger abzuleisten und ihre Götter aufzugeben. Religion und Mythologie ist dabei eins der vorherrschenden Thematiken im Spiel, welches von den Punischen Kriegen und damit nicht zuletzt auch von der alten römischen Mythologie und Geschichte inspiriert ist. Hiermit startet Tears to Tiara auch gleich mit einer betont ernsten Note, gleich zu Beginn wird dem Spieler die Grausamkeit des Empires und seiner Soldaten vor Augen geführt und auch im weiteren Verlauf des Spiels wird eine gewisse düstere und beklemmende Stimmung beibehalten, welche das Setting durchaus glaubwürdig erscheinen lässt.
Natürlich ist das Ziel das Stürzen des Imperiums, wozu wir in die Rolle von Hamil, dem Sohn des vorherigen Herrschers Hispanias, welcher sieben Jahre zuvor im Kampf gegen die Unterdrückung fiel, schlüpfen. Als letzter Überlebender der bisher über die Region herrschenden Familie, liegt die Rettung des Volkes in seinen Händen. Leider ist der junge Adlige für seine Untertanen scheinbar eine bittere Enttäuschung, denn er wählt ein Leben in Unterdrückung statt Rebellion. Dies soll sich jedoch bald ändern und nach und nach schließen sich immer mehr Verbündete im Kampf gegen ihr Schicksal an. Und ob Freund oder Feind, die Charaktere sind durchwegs überzeugend dargestellt und schon nach kurzer Zeit fiebert man mit dem Protagonisten und seiner Truppe mit, nicht zuletzt weil hier richtige charakterliche Entwicklungen bei den Hauptpersonen zu verfolgen sind. Vor Allem Hamil selbst ist für einige Überraschungen gut, denn der normalerweise ruhige und warmherzige junge Mann hat auch eine überaus furchteinflößende Seite…
Die Story an sich, welche lediglich in Textform, hauptsächlich Dialogen, übermittelt wird, ist wirklich wunderschön geschrieben. Die Hintergrundgeschichte und Mythologie der Welt sind extrem umfassend und detailliert erzählt, sodass sie einem überaus realistisch und lebendig vorkommt. Allerdings muss man sich darauf einstellen über 70 Stunden in das Spiel zu investieren – so lange dauert nämlich allein die Hauptstory, wobei man etwa drei Viertel der Zeit mit Lesen beschäftigt ist. Wirklich, die Story ist lang, ausführlich geschildert und schreitet teilweise im Schneckentempo voran. Und noch eine Warnung: Fortgeschrittene Englischkenntnisse sind ein absolutes Muss um den Charme von Tears to Tiara vollständig erleben zu können, denn alles Wichtige wird nur in Textform transportiert. Alle, für die die Sprache keine Barriere darstellt, kommen dann in den Genuss der hervorragenden Übersetzung, die es schafft Emotionen perfekt rüberzubringen und an der auch manch subtiler Witz oder Anspielung nicht vorbei ging. Es gibt so gut wie keine Cutscenes oder Animationen und die meiste Zeit sieht man Hispania nur im Hintergrund hinter den sich unterhaltenden Charakteren – typisch eben für Spiele dieser Art.
Die Sprachausgabe ist leider nur auf Japanisch verfügbar, diese jedoch ist trotz allem sehr gut und vermittelt zumindest die Gefühle der Sprecher. Sehr oft hört man von unserem Hauptacharakter nur wütende, oder wie an einer ganz bestimmten Stelle gleich zu Beginn, schmerzerfüllte Schreie, welche wirklich unter die Haut gehen.
Das Gameplay – Strategie für jedermann
Hat man sich erfolgreich durch den Beginn des Intros des Spiels gelesen, bestreitet man nach etwa zwei Stunden den ersten richtigen Kampf. Nach sieben(!) Stunden hatten wir das Intro dann abgeschlossen und durften zum ersten Mal den Hauptbildschirm bewundern, von welchem aus Gegenstände gekauft, Kämpfe ausgewählt und in der Story vorangeschritten werden kann. Nur für die Strategie-Kämpfe sollte man sich das Spiel also nicht zulegen, denn auch wenn das Kampfsystem sehr gut ist und viel Spaß bringt, kann locker mal eine ganze Stunde zwischen einzelnen Auseinandersetzungen vergehen, wodurch die Kämpfe eine angenehme und entspannende Abwechslung nach langen Dialogstrecken bieten.
Die Kämpfe sind runden- und rasterbasiert und relativer Standard für SRPGs. Jeder Kämpfer ist einem Element zugeordnet und verfügt über verschiedene Angriffe und Ausrüstung. Es gibt unterschiedliche Arten von Waffen, wie Bögen, Schwerter oder Stäbe von denen jeder spielbare Charakter – insgesamt gibt es über 15 – jeweils nur eine benutzen kann. Außerdem besteht die Möglichkeit neue Ausrüstung zu kaufen oder in Kämpfen zu gewinnen und diese dann auszurüsten oder im sehr simpel gehaltenen Crafting-System zu verbessern. Angreifen kann man mit einer normalen Attacke, Magie oder speziellen Techniken, die MP verbrauchen, dabei verursachen Angriffe von der Seite oder von Hinten mehr Schaden. Manche Charaktere können außerdem Monster zähmen und unser treuer Begleiter, ein Elefant welcher eine Art Kutsche zieht, lässt den Spieler die Kämpfer während des Kampfes auswechseln.
Ein weiteres gern gesehenes Feature ist, dass jederzeit zwischen den drei verfügbaren Schwierigkeitsgraden gewählt werden kann. Auf einfach sind die Kämpfe auch wirklich einfach und stellt man das Ganze mal auf schwer, wird jeder strategische Fehler sofort bestraft. Da ist es schön, dass es keine permanenten Tode gibt und man außerdem über die Möglichkeit verfügt mit ‚Rewind‘ ohne jegliche Bestrafung zu einer früheren Runde der Schlacht zurückzukehren und eine andere Taktik auszuprobieren. Desweiteren sind die optional zu erfüllenden Aufgaben sehr abwechslungsreich und herausfordernd; beispielsweise dürfen bestimmte Personen nicht sterben oder es müssen Kisten geöffnet werden. Gelobt werden kann an dieser Stelle auch die KI, die sich jederzeit logisch verhält.
Mit diesen Besonderheiten hat das Kampfsystem wirklich für jeden etwas zu bieten: Es ist nicht nur extrem einsteigerfreundlich und verzeiht Fehler, sondern auch geübtere Spieler kommen mit den abwechslungsreichen Charakteren und den höheren Schwierigkeiten voll auf ihre Kosten.
Zum Schluss noch ein Problem, welches nicht unerwähnt bleiben darf: Die Speicherfunktion. In Dialogsequenzen vergeht oft eine unzumutbar lange Zeit bis zur nächsten Speichermöglichkeit, was gerade dann stört, wenn man mal nicht eine Stunde lang am Stück Texte über die Geschichte von Hispania lesen will.
Die Graphik und der Sound – Man kann wohl nicht alles haben…
Wer zum ersten Mal Tears of Tiara spielt, wird sich an die guten alten Zeiten der PlayStation 2 zurückerinnert fühlen. Nein, die Graphik des Spiels ist nicht wirklich schön, denn wenn man sich nicht gerade im Dialog befindet(zum Glück wird das meistens der Fall sein) und hübsch gezeichnete, wenn auch unbewegte, Anime-Figuren vor Augen hat, muss man sich mit Chibi-Versionen der Helden begnügen, die teilweise farblich von den Originalen abweichen und insgesamt nur bedingt ansprechend aussehen. Insgesamt ist es etwas gewöhnungsbedürftig in dem sonst so ernsten Spiel kleine Comic-Charaktere mit überdimensionierten Köpfen zu sehen… Es gibt zwar ein schönes Intro wenn man das Spiel startet, von derartig kunstvoller Animation ist aber spätestens nachdem man seinen Spielstand lädt fast nichts mehr zu sehen. Zumindest läuft es einwandfrei und ohne Ruckler und auch die Ladebildschirme sind angenehm kurz.
Der Sound hingegen hat uns überzeugt. Das Main-Theme ist so schön, dass man es sich gerne auch mal einfach so anhört und auch die restliche musikalische Untermalung ist durchwegs stimmig und passt zur Atmosphäre.
Fazit:
Gerne würde ich Tears to Tiara II: Heir of the Overlord einschränkungsfrei empfehlen. Und bedingt kann ich das auch, jedoch nur an alle, die Visual Novels sehr, sehr gerne haben und sich nicht langweilen, wenn sie zwischen Kämpfen für eine gute Stunde nur Dialoge lesen.
Wer genau das mag, eine epische, detaillierte und mitreißende Story erleben will und den ein oder anderen Strategie-Kampf nicht scheut, für den könnte dieses Spiel genau das Richtige sein. Die Welt und Charaktere sind vieldimensional und interessant, die Kämpfe sind eine angenehme Abwechslung vom Lesen und machen sehr viel Spaß und den Spielumfang kann kaum ein Spiel dieser Art übertreffen ohne repetitiv zu werden. Man fühlt sich beim Spielen manchmal ein wenig so, als würde man ein wirklich gutes Buch lesen und will den Controller gar nicht mehr aus der Hand legen.
Für mich ist Tears to Tiara II jedenfalls ein ganz besonderes Highlight diesen Jahres, wenn nicht vielleicht sogar meine Nummer 1 bisher.