Alle Jahre wieder, schickt die Spielewelt einen neuen Kontrahenten ins Rennen, um Genre-Großkönig Diablo vom Hack&Slay-Thron zu stürzen. Aber so wirklich gelungen ist das nie – bis heute womöglich. Denn Entwickler Eleventh Hour Games hat am 21. Februar des Jahres Ihren eigenen Kandidaten, Last Epoch, ins Rennen geschickt. Und die Zeit könnte passender denn je sein, denn Blizzard hat bei den Fans, durch unpopuläre Entscheidungen, aktuell keinen guten Stand.
Ob Last Epoch neue Genrestandards setzt, oder sich in die Reihe der vielversprechenden, aber letztlich enttäuschenden Diablo-Klone einfügt, untersuchen wir in diesem Test.
Wo bin ich hier?
Last Epoch entlässt uns nach einer kurzen Vorgeschichte in die Welt von Eterra. Hier herrschen insgesamt vier Götter, von denen einer allerdings auf Krawall gebürstet ist und gern die ganze Welt unterwerfen würde. Besagter Gott ist Rahyeh, der über die Lüfte gebietet und alles abfackelt, was ihm nicht bei drei Unterwürfig ein Schnitzel serviert.
Der Spieler selbst wird dabei ohne jegliche Hintergrundgeschichte ins Spielgeschehen geworfen und findet sich plötzlich mitten im Kampfgetümmel wieder. Neben der fehlenden Geschichte, mag dem ein oder anderen RPG-Fan auch negativ auffallen, dass die auswählbaren Klassen im Aussehen nicht anpassbar sind. Mich persönlich hat das nicht sehr gestört, da man den Charakter ohnehin fast nie aus der Nähe sieht, aber dem ein oder anderen Spieler könnte hier ein gewohntes Element fehlen.
Wer nun tiefer in die Story von Eterra eintauchen möchte, der könnte ebenfalls über das eher dünne Storytelling stolpern. Die Welt von Eterra ist zwar durchaus interessant, aber die Präsentation der Geschichte gehört leider nicht zu den Stärken von Eleventh Hour Games.
Wo andere Spiele uns mit Rendersequenzen, spannenden Plottwists, Script-Inszenierungen im Spiel, oder wenigstens toll gesprochenen Dialogen belohnen, bietet uns Last Epoch nur sehr kurz und kryptisch gehaltene Textblasen. Oftmals scheinen die Erzählstränge dabei den Zusammenhang zu verlieren, oder es wird einfach angenommen, dass man den Kontext zum aktuellen Auftrag kennt.
Das ist besonders schade, weil die Geschichte von Last Epoch viel Potenzial hat. Der Krieg der Götter, der Auswirkungen auf mehrere Epochen hat und dabei sogar irgendwie das Ende aller Zeiten einläutet, ist eine spannende Prämisse.
So aber springen wir Mithilfe von Zeitrissen durch die Epochen, kloppen diverse Bosse in den Marmorboden und haben auf der Hälfte der Strecke vergessen, warum wir das eigentlich tun.
Klasse Klassen
Wer sich von der Inszenierung der Geschichte und des Helden nicht abschrecken lässt, wird dafür aber durch komplexe Klassen und spannende Mechaniken belohnt.
Last Epoch bietet bei der Charaktererstellung die Auswahl zwischen fünf Basisklassen, die sich jeweils noch mal zu drei Spezialisierungsklassen ausbauen lassen. Die Klassen listen wir euch im folgenden auf.
Der Wächter ist der klassische Nahkämpfer und lässt sich außerdem zu Leerenrittern, Ambosswächtern oder Paladinen weiter entwickeln. Je nach Spielweise und Spezialisierung kann der Spieler dann selbst den Fokus darauf legen, ob die Klasse eher offensiv, defensiv, oder auch unterstützend funktioniert.
Die Schurkin bietet eine Entwicklung zur Klingentänzerin, Scharfschützin oder Falknerin an. Während die Klingentänzerin die Rolle der klassisch grazilen Meuchelmörderin erfüllt, zieht die Falknerin mit einem Rudel Geflügel ins Gefecht.
Die klassische Zauberklasse ist durch den Magier vertreten, der sich jeweils zum Zauberer, zur Zauberklinge, oder zum Runenmeister fortbilden lässt. Entsprechend der eigenen Vorliebe kann man seine Gegner so entweder im Nahkampf schockfrosten, oder aus der Ferne durchbraten.
Weiter geht es mit dem Primalisten, der sich wahlweise zum Tiermeister, zum Schamanen oder zum Druiden verbessern lässt. Der Tiermeister funktioniert zum Beispiel als klassische Pet-Klasse, während der Druide viele unterstützende Fähigkeiten mit sich bringt.
Zum Schluss bleibt noch die Akolythin, die man auf noch düsterere Pfade lenken kann, indem man Ihre Seele zur Nekromantin, zum Lich, oder zur Hexenmeisterin verkommen lässt. Die Akolythin kann wahlweise als Pet-Klasse mit vielen Untoten, oder auch als Seuchenklasse mit Gift und Krankheiten gespielt werden.
Spezialisierungen en masse
Die spannende Klassenwahl bleibt aber mitnichten die einzige Anpassung an unsere Spielweise, die Last Epoch uns bietet. Jede Klasse bringt erwartungsgemäß Ihre eigenen Skills mit sich, von denen wir im Verlauf des Spieles noch weitere freischalten können.
So bietet zum Beispiel eine ausreichend hochgespielte Nekromanten-Akolythin eine Auswahl von 17 verschiedenen Skills mit sich. Und als wäre das nicht genug, erhält jeder dieser Skills einen eigenen Skilltree. Fünf dieser Skills können wir dann auswählen und mithilfe des Skill-Trees nach unserem eigenen Gutdünken anpassen.
Meine beschworenen Skelette sollen höheren Kälteschaden bewirken? Kein Problem. Mein wandernder Geisterschwarm soll sich schneller bewegen und Gegner in der Nähe vergiften? Machbar! Mein Marksplitter soll am Aufschlagsort zersplittern und allen Gegnern Blutung hinzufügen? Aber gerne doch!
Die Skills in Last Epoch bieten eine schier unendlich große Möglichkeit Klassen auf unterschiedlichste Art und Weise zu spielen und das könnte eine der größten Stärken von Last Epoch sein. Was könnte für mehr Wiederspielwert sorgen, als der Spaß daran, immer wieder neue Klassen, Fähigkeiten, Kombinationen von angepassten Fähigkeiten etc. miteinander auszuprobieren?
So ist es auch schwer eine Standardisierte Meta für eine bestimmte Klasse festzulegen. Zu viele Möglichkeiten existieren, als dass Spieler eine bestimmte Spielweise schon sicher als unpraktisch ausschließen könnten.
Neben den Anpassungen der Fähigkeiten, gibt es außerdem noch einen klassischen Skilltree für unseren Charakter, in dem wir mit jeder neuen Stufe einen weiteren Punkt in passive Verbesserungen stecken dürfen. Das sind dann zum Beispiel Verstärkungen für unseren Begleiterschaden oder verbesserte Regeneration für uns selbst.
Auf ins Abenteuer
Ausgerechnet der eigentliche Spielablauf in Eterra hat mich manchmal mit einem rotierenden Fragezeichen über dem Kopf zurückgelassen. Dabei ist der eigentliche Spielflow nicht das Problem. Die Kämpfe fühlen sich gut an, alle Mechaniken sind responsiv, Gegner glitchen nicht durch die Gegend und die Effekte sehen schick aus.
Es sind eher Designentscheidungen, die jemandem, der aus Diablo, Titan Quest oder Path of Exile kommt, auffallen dürften. So spawnen zum Beispiel sofort sämtliche Gegner neu, wenn man das Gebiet kurz verlässt. Portal benutzen, Inventar leeren und zurückkehren fühlt sich so ziemlich unbefriedigend an, weil man quasi wieder bei null steht und alle Gegner erneut in die Nachwelt befördern muss. Das befriedigende Gefühl, ein Gebiet tatsächlich „gecleared“ zu haben, wird einem hier vorenthalten.
Schlimmer noch: Gegenstände, die man im Online-Modus kurz liegengelassen hat, verschwinden von der Karte, wenn man sich in die Stadt teleportiert. Für Epics sollte man also besser immer ein wenig Platz frei halten.
Beide aufgeführten Punkte könnte man vielleicht noch als bewusste Designentscheidung verargumentieren, aber warum muss ich jedes Mal, wenn ich ein Gebiet betrete, indem ich bereits war, auch die Karte ganz neu aufdecken? Das ist doch kein Element, welches mir irgendeinen spielerischen Mehrwert bietet.
Auch beim Design der Welt frage ich mich, wo die Entwickler hier Ihren Fokus hatten. So wirken grad einige frühe Passagen recht altbacken und könnten aufgrund der sehr geometrischen Formen auch aus Diablo 2 stammen. Zur Mitte des Spieles hin wird es dann sehr duster, so dass man bestimmte Designelemente der Umgebung nur erahnen kann. Ausgerechnet wenn man sich damit abgefunden hat, dass Last Epoch wohl nur grafisches Mittelmaß ist, trumpft das Spiel im letzten Drittel mit wunderschönen, kreativen und abwechslungsreichen Gegenden auf. Das hätte ich gern auch deutlich früher gehabt!
Clevere Tools für clevere Spieler
Die vorigen Punkte klingen zwar erst einmal negativ, wirken sich aber interessanterweise kaum auf den Spielspaß von Last Epoch aus. Denn das Spiel gibt uns ein paar kluge Werkzeuge mit an die Hand, die die gelisteten Kritikpunkte stark abschwächen.
Allem voran sei hier der Beutefilter genannt. Mithilfe eines selbst erstellten Regelwerkes, lässt sich so nämlich bestimmen, welche Beute ich überhaupt auf der Karte sehen möchte. In meinem Fall habe ich nicht magische und einfache magische Gegenstände komplett herausgefiltert. Angezeigt werden sollen mir nur einzigartige und Set-Gegenstände, sowie seltene Gegenstände, die höchstens 10 Stufen unter meiner Charakterklasse sind.
Somit kann ich viel länger in den Monstergegenden spielen und gerate nur noch selten in die Situation, dass ich mit einem Portal in die Stadt zum verkaufen müsste.
Auch kann ich keine Tränke oder Edelsteine in meiner Tasche mehr ansammeln. Tränke lassen sich nur noch so viel tragen, wie Platz an meinem Gürtel ist und die klassischen Edelsteine (in Last Epoch sind es Splitter) lassen sich automatisch in einen extra Beutel überführen, der unbegrenzt Platz bietet. Das heißt, es gibt kaum noch einen Grund dazu, die eigene Tasche bei einem Besuch in der Stadt nicht komplett zu leeren.
Und für Gegenstände, die wir evtl. doch noch behalten wollen, gibt es eine sehr große Beutetruhe, die mehrfach erweitert werden kann und uns lange Zeit als „Vielleicht“-Lager dienen kann.
So entwirft Last Epoch einen Spielflow, in dem es nur noch selten nötig ist, ein Gebiet zu verlassen und dann dorthin zurückzukehren.
Der Amboss macht´s
Eine weitere nützliche Mechanik ist die Schmiedefunktion. Die bedeutet nichts anderes, als das fast alle Gegenstände in Last Epoch nach eigenen Wünschen angepasst werden können.
So besitzt jeder Gegenstand einen Schmiedewert, der bestimmt wie viele Affixe und Suffixe ich dem Gegenstand auf einem bestimmten Level hinzufügen kann.
Je höher die seltenheit des Gegenstandes, desto höher ist auch meist der Schmiedewert und die Slots, in die ich Affixe und Suffixe hinzufügen kann.
Diese Zusätze sind dann entweder bereits auf dem Gegenstand und ich kann Sie durchs Schmieden erhöhen, oder ich nutze bestimmte Runen um die vorhandenen Zusätze zu entfernen bzw. zu ersetzen. Jedes mal wenn ich einen der Aff- und Suffixe um einen Level erhöhe, verbrauche ich dafür einen der passenden Splitter, die ich hin und wieder in der Welt finde. Diese Splitter sind also entfernte Verwandte der Edelsteine aus Diablo.
Als Affixe und Suffixe finden sich zum Beispiel Splitter, die meine Grundwerte erhöhen, meine Pets verstärken, die Widerstände geben, oder die zum Beispiel Schadensarten erhöhen.
So gibt das Spiel mir auch bei großem Drop-Pech die Möglichkeit, mir Gegenstände nach eigenen Vorlieben anzufertigen. Dabei ist das Level der Suffixe auf Stufe 5 begrenzt. Wer noch höhere Level will, muss eben doch in den Endgame-Content.
Ab hier wirds knackig
Wer sich dann irgendwann mit halbwegs guter Ausrüstung durch die Kampagne gekloppt hat, wird sich dem Endgame-Content gegenüber sehen.
Hier versucht Eleventh Hour Games einen etwas anderen Weg als Genrevertreter zu wählen. So gibt es zum einen klassische Dungeons, die absolviert werden können, sobald wir einen passende Schlüssel zu selbigen finden. Besagte Dungeons können dann später auch auf höheren Schwierigkeitsgraden mit besserer Beute angespielt werden.
Außerdem gibt es am Ende der Zeit den Monolith des Schicksals, über den sich Tore zu anderen Zeitebenen öffnen lassen, in denen wir uns dann durch anspruchsvollere Gebiete schlagen müssen. Ein erfolgreich absolviertes Gebiet lässt uns dann die Wahl, in welches neue Gebiet wir verstoßen wollen, in dem Belohnungen und Anspruch weiter steigen.
Hat man einen Pfad im Monolith des Schicksals erfolgreich abgeschlossen, erhält man einen Permanenten Buff, den man sich in einen von mehreren Buff-Slots ablegen kann. So kann ein häufigerer Besuch beim Monolithen sinnvoll sein, um sich die besten oder passendsten Buffs zusammen zu farmen.
Eine weitere Mechanik ist die Arena, in der man sich nie endenden Gegnerhorden entgegenstellen kann, um Ruhm, Ehre und Ranking zu erhalten.
Eleventh Hour Games plant außerdem, das Endgame ständig mit Patches und Content am Leben zu erhalten. Wir sind gespannt ob das Versprechen gehalten wird.
Holpriger Start
Trotz all der vielversprechenden Ideen hat Last Epoch leider einen recht holprigen Start an den Tag gelegt. Der Ansturm der Spieler war offenbar vom Entwickler unterschätzt worden, so dass grade in den ersten Tagen und Wochen Server nicht auf den Spielerandrang ausgelegt waren.
Ergebnis davon war, dass Spieler, die im Online-Modus spielten, häufig aus dem Spiel flogen, oder Minutenlang auf Ladeübergänge zwischen verschiedenen Gegenden warten mussten.
Entsprechend angespannt war die Stimmung im Globalen Chat, oder auch in den Steam-Reviews.
Wer nicht unbedingt Online spielen wollte, konnte alternativ auch den Offline-Modus wählen. Dieser hatte zwar weniger Probleme mit Ladezeiten, wurde aber ebenfalls dafür kritisiert, dass es kein echter Offline-Modus sei, weil die verwendete Unity-Engine trotzdem ständig versucht Telemetriedaten an Internet-Server zu versenden. Das macht das Spiel bei schwacher Internetleitung kaum merklich schneller, als im Online-Modus.
Fazit
Ob Last Epoch sich tatsächlich den Hack&Slay-Thron greifen könnte, ist noch ungewiss, aber die Zeichen stehen nicht schlecht.
Das Spiel bietet durch die enorme Klassen- und Fähigkeitenvielfalt einen hohen Wiederspielwert.
Eine vor allem im späteren Verlauf schön designte Welt, Interessante Loot-Mechaniken und sinnvolle Tools, um den Spielflow rund zu halten, machen aus Last Epoch einen starken Konkurrenten. Einzig die dünn erzählte Geschichte ist ein Wermutstropfen, den man akzeptieren muss.
Bekommt Eleventh Hour Games noch die Serverprobleme in den Griff, steht einem Kauf von Last Epoch wirklich nichts mehr im Wege.
Das Spiel ist aktuell für sehr faire 34€ im Steam-Shop zu erstehen.