Kingdom Come: Deliverence – Test

    Kingdom Come: Deliverence will anders sein, als andere Rollenspiele. Und das merkt man dem Spiel auch vom Start weg an, was mal mehr, und mal weniger glückt. Wir haben uns ins alte Böhmen gewagt und Kingdom Come: Deliverence der Schwert- und Schildprobe unterzogen. Unsere Eindrücke lest ihr hier im Test!

    Für diesen Test haben wir Kingdom Come: Deliverence auf der Playstation 4 gespielt.

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    Kickstarter als Wegbereiter

    Am Anfang eines Spiels steht immer die Idee, so auch in Kingdom Come: Deliverence. Je mehr man beim Entwicklerteam der Warhorse Studios ins Detail ging, desto größer wurde die Begeisterung. Und als das Projekt dann 2014 bei der Unterstützungsplattform Kickstarter landete, war schnell klar, dass man diese Begeisterung weltweit teilt. Am Ende des Zeitraums zur Finanzierung sprengte Kingdom Come: Deliverence den Jahresrekord mit mehr als 35.000 Unterstützern und über 1 Millionen gesammelter Euro. Seit dem sind nun etliche Monate vergangen, in denen immer mehr Ideen einflossen und die Supporter regelmäßig an Alpha- und Betatests teilnehmen durften. Man sieht anhand des Zeitraumes, dass Kingdom Come: Deliverence ein sehr ehrgeiziges, umfangreiches und manchmal auch umstrittenes Unterfangen war. Das Warten hatte dann Anfang diesen Jahres endlich ein Ende, als das Spiel in der finalen Version für PC, PS4 und Xbox One erschien.

    Das mittelalterliche Böhmen

    Kingdom Come: Deliverence führt den Spieler sehr entschleunigt in die realistische Spielwelt ein. Unsere Spielfigur heißt Heinrich, der im beschaulichen Dorf Skalitz als Sohn eines Schmieds aufwächst. Im Gegensatz zu seinen fleißigen Eltern ist unser Heinrich aber eher ein kleiner Faulenzer, der lieber Zeit mit Freunden und Mädchen verbringt, als seinen Eltern unter die Arme zu greifen. Das Intro dient zeitgleich auch als spielbares Tutorial, bei dem wir die üblichen Abläufe wie Bewegungen und erste Angriffe erlernen.

    Der Frieden hat ein jähes Ende, als eine Armee der Kumanen über sie herfällt. Heinrich kann fliehen, muss jedoch mit ansehen, wie sein Dorf und seine Familie den Flammen zum Opfer fällt. Was nun in den nächsten Stunden folgt ist ein Werdegang, der vom kleinen Taugenichts hin zum Helden von Böhmen avanciert. Bis es soweit ist, wird man allerdings nicht nur viel Zeit, sondern auch viel Frust und Lehrgeld ins Spiel investieren müssen.

     

    Heinrich wird Erwachsen

    Besagter Frust liegt am hohen Realismusgrad in Kingdom Come: Deliverence. Man muss sich schnell klarmachen, dass das Spiel ziemlich wenig mit hinlänglich bekannten Rollenspielen hat. Allen voran spielen Fantasy-Elemente wie z.B. Magie hier Null Komma Null Rolle. Aber auch, wie Heinrich und seine Umgebung auf jedwedes Handeln reagieren ist mitunter recht ungewohnt. Dazu gesellt sich ein Tagesrhythmus, der so in seiner Form wohl ziemlich an das herankommt, wie es damals tatsächlich war. Tagsüber erlebt man reges Getummel von Menschen und Händlern auf dem Markt und im Dorfgeschehen, während sich in der Dämmerung Kinder nach Hause machen, ihre Väter in Schenken ordentlich einen heben. Und in der Nacht ist dann zum größten Teil Ruhe, bis auf einige Wachen und zwielichtige Gestalten. Gerade in den ersten Spielstunden darf man all das einfach mal auf sich wirken lassen, während man die beeindruckende Spielwelt erkundet und noch mit so manchen Funktionen hadert.

    Wobei man besagtes hadern auch wieder auf den Realismus zurückführen muss, der an sich ja sehr lobenswert ist – aber für uns Gamer eben sehr ungewohnt im Falle eines RPGs. Nehmen wir als Beispiel zur Veranschaulichung einfach mal das Kampfsystem. Mit Schwert und Schild bewaffnet tritt man früher oder später seinen ersten Widersachern gegenüber. Dabei ist Heinrich alles andere als erfahren im Kampf, was sich nicht nur in (zunächst) schwerfälligen Angriffen und Abblocken zeigt, sondern auch durch einen schwenkenden Fokus ausgedrückt wird. Das zielgerichtete Anvisieren von Gegnern ist gerade zu Beginn sehr ungewohnt und erfordert ständiges Nachjustieren. Gleiches gilt auch für Pfeil und Bogen. Bis man Heinrich so weit „geskillt“ hat, dass der Pfeil auch wirklich dort einschlägt, wo man es wünscht, vergehen dutzende von Köcherfüllungen. Diese Spielmechanik drückt sich ferner im handwerklichen Geschick aus, was anfangs einen ziemlich hohen Verschleiß an kostbaren Materialien mit sich bringt.

    Der Realismus spiegelt sich aber auch abseits jeglicher kämpferischer Handlungen wider. Hat Heinrich etwa Blut auf seiner Kleidung, schrecken angesehene Damen vom Hofe vor euch zurück, während ihr bei Bauern in der Gunst steigt. Wascht ihr euch nicht regelmäßig, hat der Körpergeruch negative Auswirkungen auf Dialoge. Hunger, Durst und Schlaf sind natürlich auch essentielle Bestandteile des Spiels, um die man sich kümmern muss. Und verarztet ihr eine Wunde nicht rechtzeitig, droht im besten Fall ein Verlust der Lebenspunkte, im schlimmsten der virtuelle Tod. Behaltet ihr ein Brot zu lange ungenutzt im Gepäck, wird es schimmelig und ihr zieht euch eine Vergiftung zu. Diese Liste könnte man nahezu unendlich lange fortsetzen, sie zeigt jedoch nur das Eine: In Kingdom Come: Deliverence spielt eben der Realismus eine entscheidende Rolle und zwar in einer solchen Form, wie man es abseits des Titels suchen geht.

     

    Es gibt viel zu tun

    Nicht nur beim Design der Spielwelt und des Realismusses hat man sich ins Zeg gelegt, sondern auch in puncto Quest-Gestaltung. Grundsätzlich gilt die Devise, dass man niemals nur den einen Weg hat, um eine Aufgabe zu beenden. Wenn man unterschiedliche Herangehensweisen beschreiben möchte, dann muss man wohl am ehesten in aggressive und friedliche Herangehensweise unterscheiden. Es obliegt also eher der eigenen Spielgewohnheit, ob man eine Quest per Schwert oder per Wort zu Ende bringt. Egal, für welchen Weg man sich entscheidet: Alle Handlungen und Ereignisse in Kingdom Come: Deliverence sind sehr textlastig gestaltet. Es gibt etliche Dialogzeilen zu lesen und hören und auch die Wegbeschreitung bis zum Zielort ist wieder vom Realismus geprägt. Zwar gibt es eine Schnellreisefunktion, die dank der enorm großen Spielwelt auch Sinn ergibt, aber man darf jederzeit zu Fuß oder auf dem Pferd von A nach B kommen. Mitunter lohnt sich sogar die längere Variante per Gaul, da das Spiel nicht mit zufälligen Ereignissen und Nebenquests abseits der Hauptstraßen geizt. Innerhalb der Aufgaben erwarten euch dann eine Vielzahl an unterschiedlichen Einsätzen. Menschen müssen befragt werden, Ereignisse aufgeklärt werden und natürlich auch mal ein Nest von Aufsässigen ausgehoben werden. Ab und an muss man sich einzelne Situationen gut einprägen und dann zu einem späteren Tagesabschnitt wieder zurückkehren, um zum Ziel zu gelangen. Oder aber, ihr benötigt einen bestimmten Gegenstand zum Beenden einer Aufgabe, den ihr aber zuerst suchen müsst. Natürlich gibt es keine Anhaltspunkte, wo sich besagter Gegenstand aber befindet, Stichwort Realismus. Die virtuelle Karte, die uns zur Verfügung steht, ist zwar übersichtlich gehalten, spart aber mit Zusatzinfos, die man so eben seiner Zeit auch nicht hatte. Entdeckt ihr beispielsweise unterwegs ein Lager von Banditen, wollt es aber nicht direkt angreifen, so muss man sich den Punkt auf der Karte schon selbst einprägen, denn die Map zeigt lediglich ein Stück Wald.

    Technisch nicht ganz auf der Höhe

    Betrachtet man Kingdom Come: Deliverence von der technischen Seite, so bietet das Spiel Licht und Schatten. Die genutzte CryEngine macht grundsätzlich einen guten Job, was besonders in weitläufigen Dörfern und Außenarealen sichtbar wird. Unangenehmer wird es da bei den kantigen Gesichtsanimationen aller Spielfiguren. Leider fallen diese auch besonders negativ auf, da das Spiel wie erwähnt sehr dialoglastig ist und man dadurch oft herangezoomte Gesichter auf der Mattscheibe hat. Die deutsche Synchronisation hat ebenfalls ihre Tücken, besonders im Hinblick auf die Lippensynchronität. Immerhin darf man aber jederzeit zwischen zig verschiedenen Sprachen wechseln, falls man das Bedürfnis dazu verspürt.

    Zwischenzeitlich wurde das Spiel auch mehrfach via Patch nachgebessert. Hatte man in der Ur-Version noch recht viele Clipping- und Texturfehler, sieht Kingdom Come: Deliverence nun sehr viel geschmeidiger aus. Abstriche muss man beim Aufbau der Spielwelt machen, denn nach wie vor ploppen teilweise im Hintergrund lustig Wälder und Gebäude auf, die eine Sekunde vorher noch nicht dort waren.

     

    Fazit

    Kingdom Come: Deliverence hat die Ambition, ein realistisches Abenteuer im mittelalterlichen Böhmen zu sein. Ja, die Ansätze dazu sind mehr als spürbar und schon ziemlich gut umgesetzt, aber zu 100% konsequent eben auch noch nicht. Vielleicht ist das in einem solch umfänglichen Spiel auch gar nicht möglich, aber Dinge wie beispielsweise Wechsel der Jahreszeiten hätten noch ein Tüpfelchen mehr dazu beigetragen. In der Summe aber sind hier sehr viele Dinge richtig toll umgesetzt und alles ergibt miteinander auch tatsächlich Sinn. Dadurch ergeben sich für den Spieler etliche unbekannte Verflechtungen, die man so in keinem anderen Rollenspiel erlebt. Man ist deutlich mehr mit dem Wohlergehen seiner Spielfigur und der Umgebung beschäftigt und vergleichsweise weniger mit Kämpfen und Questlösungen. Ob einem das gefällt oder man doch lieber action-lastigere RPGs bevorzugt, liegt einzig an der Einstellung des Spielers. Fakt ist jedoch: Wenn man sich auf diesen hohen Grad an Realismus und Entschleunigung einlassen kann, dann wird man dutzende spannende Stunden Spaß mit Kingdom Come: Deliverence erleben.

    Christoph
    Kind der 70er. Seit '84 Musiker, seit '85 Hobby-Jedi, seit '86 Zocker und seit 2011 hier Redakteur