Knochen splittern, der Speer bohrt sich durch das Fell – ein kurzes Zucken, ein Grollen und die Augen des Säbelzahntigers leeren und schließen sich. Schweißgebadet raufe ich mich auf, säubere das Holz mit einer Steinspitze und nutze das primitive Schiefer-Messer, um dem Ungetüm das Fell über die Ohren zu ziehen. Es war eine nervenaufreibende Verfolgungsjagd, vorbei an Wasserfällen und üppigen Wiesen, durch einen tiefen Wald hindurch. Am Ende habe ich gesiegt – nun heißt es, die nächste Beute zu erhaschen; für das hungrige Crafting-System.
Was hier nach dem nächsten von 122312 Survival-Early-Access-Spielen klingt, ist tatsächlich Ubisofts nächster Ableger der Far Cry Serie. Verrückte und Drogen außen vor, bedient sich Primal dieses Mal dem prähistorischen, sowie brutalen Setting im Jahre 10.000 vor Christi Geburt. Was hier nach einem erfrischenden Szenario klingt, entpuppt sich nach kürzester Zeit als die wahrscheinlich beste Idee, die der französische Entwickler in den letzten Jahren hatte.
Ohren und Augen auf, Bogen fest im Griff
Primal spielt sich tatsächlich wie ein reines Far Cry. Jedoch fehlen Gewehre, Fahrzeuge und ein abgedrehtes Szenario mit wahnsinnigem Antagonisten. Anstelle hiervon präsentiert euch das steinzeitliche Abenteuer eine Wucht von Authentik, wie es kein ARK aufzeigen kann. Gemeinsam mit dem verstreuten Stamm der Wenja kämpft ihr in der Haut des Jägers Takkar gegen die blutrünstigen und umso primitiveren Udam-Volk um das Oros-Tal.
Dieser fiktiver, in Zentraleuropa liegende Schauplatz strotzt nur so vor Details und liebevollem Leveldesign. Während wir durch hohes, dichtes Gras streifen, saugt einen die stimmige Inszenierung förmlich ins Mesolithikum.
Nicht nur visuell weiß Primal uns zu begeistern! Hier und da streunen wilde Tiere durchs Land, gehen ihrem „Tagwerk“ nach – sprich: Jagen, Flüchten, Leben einfach vor sich hin und wir sind mitten drin. Ein (aus den Vorgängern bereits bekannter) dynamischer Tag und Nacht Wechsel sorgt für die Notwendigkeit unterschiedlicher Herangehensweisen und immense Atmosphäre.
Tagsüber ist es ein leichtes, seiner Kleintier-Beute nachzujagen, mit gespanntem Bogen an die feindlichen Stämme heran zu schleichen und sich der Dutzenden Rohstoffe der Spielwelt zu bedienen. Nachts hingegen leuchten euch funkelnde Augen aus der Dunkelheit entgegen und ehe man sich versieht, wird man vom Jäger zum Gejagten.
Dicke Wummen sind von gestern!
Wer den eingangs erwähnten Bogen mittlerweile nur belächeln kann, der darf sich auf eine umfangreiche Waffenauswahl freuen, die mit entsprechendem Skill und Rohstoff nach und nach hergestellt werden kann. Speere und Keulen sind hier nur der Anfang – lassen sich gar entsprechend erweitern.
Für alle anderen: Das Gunplay mit dem bespannten Holz war nie befriedigender. Leider verzichtet Ubisoft auf eine realistische, ballistische Flugbahn – doch gerade in brenzligen Situationen hilft das ungemein. Gerade auf diese Szenarien ist Primal tatsächlich auch ausgerichtet; so stellen die ersten freischaltbaren Fähigkeiten eures Helden eher defensive und gerade auf die Flucht ausgelegte Techniken dar. Wunden beim Rennen versorgen? Bingo.
Ansonsten besticht das Kampfsystem, wie man vermuten konnte, durch brachiale Action und Brutalität wie sie nur das steinzeitliche Zeitalter bieten kann. Hier wird nichts geschönt. Auch der Umstand, dass ihr euch gegen einen Kannibalen-Stamm zur Wehr setzt, wird immer wieder durch entsprechende Cutscenes und zufallsgenerierte Events unterstrichen. Wo Far Cry bis dato nur Action-Kost war, richtet sich Primal trotz seiner 16er-Freigabe bei der USK ganz klar an die erwachsenere Zielgruppe.
Tiere sind Freunde, kein Futter
Nun gut, die Überschrift trifft nicht auf alle Spielelemente zu. Gerade das Crafting-System instrumentalisiert die Tierwelt und die allgemeine Umgehensweise mit dem „Wild“ Serien-typisch doch sehr. Wer hier nicht hinsehen oder das verkraften kann, ist bei Primal an der falschen Adresse.
Nein; abgesehen hiervon bringt das Epos ein gänzlich neues Element mit: Tierbegleiter. Einmal gezähmt (leider nur durch ein schlichtes Minispiel vertreten), ist von einem starken Bären über den flinken und gnadenlosen Säbler bis hin zur Späher-Eule alles dabei.
Letztere lässt euch aus der Vogelperspektive feindliche Lager ausspähen und kann sogar einzelne Gegner angreifen und erblinden lassen. Das Angebot an tierischen Begleitern ist recht abwechslungsreich, doch während unseres Tests hat sich schnell heraus gestellt, dass der gefährlichste Jäger jener Epoche auch den besten Sidekick darstellt.
Wir empfehlen, mit allen Tieren zu experimentieren. Je nach Spielstil findet ihr sicher einen neuen, haarigen Freund.
(Umfangreiches) Fazit
Wie sich irgendwann im Laufe des Durchspielens und auch aus der Kritik anderer Pressevertreter heraus kristallisiert hat, bedient sich Far Cry Primal exakt dem selben Karten-Layout des Vorgängers, Far Cry 4. Das mag zuerst sauer aufstoßen, doch wenn man bedenkt dass zwischen Teil 4 und unserem Ausflug in die prähistorische Epoche nur ein Jahr liegt, darf man den Franzosen ruhig vergeben. Im Gegenteil: Die Spielwelt atmet, reißt euch förmlich mit, eure Kleider vom Leib und drückt euch den Bogen in die Hand.
Grafisch macht Primal einiges her, hält sich hierbei an den von Teil 3 und 4 etablierten Standard. Die akustische Kulisse bietet viel zu entdecken und untermalt die gelegentliche Hatz durchs Unterholz wirklich passend. In Kämpfen gegen die Kannibalen setzt aufreibende Musik ein, die ebenfalls gut ins Setting passt. Der Aufstieg von Jäger Takkar und seinem Volk, ohne an dieser Stelle schon zu viel zu verraten, ist spannend umgesetzt ohne dabei einen Oscar anzustreben. Man spricht hier noch immer von Far Cry und hey: Ohne Vaas würde das ohnehin nichts.
Die Spielzeit richtet sich nach eurem Spielstil: Erkundet ihr das Tal fleißig, sammelt alle Collectibles und lasst euch gerne von Krokodilen beim Tauchen in die Waden beißen, liegen gut mehr als 30 Stunden vor euch. Ansonsten ist die Haupthandlung nach knapp 7 Stunden Geschichte [ ( ͡° ͜ʖ ͡°) ] und ihr dürft geduldig auf den nächsten Ableger mit diesem tollen Setting warten.
Leider fehlt der im Vorgänger eingeführte Koop-Modus gänzlich und auch das Potential eines harten Survival-Modus für „NewgamePlus“-Fetischisten hätte hier wirklich sehr gut ins Konzept gepasst. Schade drum; doch ansonsten wusste uns der Trip ins Oros-Tal sehr zu unterhalten. Bitte mehr davon, Ubisoft!