Ein endloser Sommer, ein Hauch von Verführung und eine Leere, die alles verschlingt: Jan-Ole Gersters Islands ist ein hypnotisches Noir-Drama über Flucht, Identität und den Preis eines Lebens ohne Verantwortung. Nach seinem gefeierten Debüt Oh Boy und dem zurückhaltend aufgenommenen Lara präsentiert der deutsche Regisseur hier einen Film, der wie ein fiebriger Traum wirkt, irgendwo zwischen Patricia Highsmith und Challengers.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Die Story
Im Mittelpunkt steht Tom, gespielt von Sam Riley, der mit seiner charakteristischen Mischung aus Melancholie und Lässigkeit einen Mann verkörpert, der dem Leben entkommen ist, nur um sich selbst zu verlieren. Einst Tennisprofi mit großen Ambitionen, arbeitet er nun in einem luxuriösen Ferienresort auf einer Insel westlich von Marokko – Fuerteventura dient als Schauplatz und wird zur symbolischen Wüste seines Daseins. Hier lebt Tom, als sei jeder Tag ein endloser Urlaub, eine Flucht vor Vergangenheit, Verpflichtung und Realität. Gleich zu Beginn wird klar, dass dieser paradiesische Ort für Tom längst zur Sackgasse geworden ist. Der Film eröffnet mit einem surrealen Bild: Tom erwacht verkatert in der brennenden Sonne, verloren in den Sanddünen, ohne Erinnerung daran, wie er dorthin gelangte. Es ist eine Szene, die mehr über seinen Zustand sagt als jedes Wort, ein Mann, der permanent betäubt lebt, in einer Routine aus Alkohol, Sonne und flüchtigen Begegnungen.

Ein Paradies voller Geheimnisse
Trotz seiner inneren Leere erfüllt Tom seine Rolle als Tennislehrer mit charmanter Leichtigkeit. Die Hotelgäste lieben ihn, Kinder, Männer, Frauen gleichermaßen. Für die Männer ist er der coole Buddy, der einst gegen Rafael Nadal aufschlug, für die Frauen ein harmloser Flirt über das Netz hinweg. Doch diese Maskerade bröckelt, als eine neue Familie im Resort eincheckt. Anne (Stacy Martin) ist eine ehemalige Soap-Darstellerin, deren Eleganz ebenso gefährlich wirkt wie ihre Zurückhaltung. Ihr Ehemann Dave (Jack Farthing) strahlt die überhebliche Gelassenheit eines Mannes aus, der alles im Griff zu haben scheint oder es zumindest glauben möchte. Ihr Sohn Anton ist das unschuldige Bindeglied, das Tom zunächst als Trainer, bald aber als eine Art Ersatzvater kennenlernt. Zwischen Tom, Anne und Dave entsteht ein fragiles Dreieck aus Anziehung, Misstrauen und unausgesprochenem Begehren. Gerster inszeniert diese Dynamik mit subtiler Spannung, jeder Blick, jede Pause auf dem Tennisplatz ist aufgeladen mit unausgesprochenem Verlangen. Als Dave eines Abends nach einem feuchtfröhlichen Ausflug verschwindet, kippt der Film von einer sommerlich flirrenden Versuchung in ein schattenhaftes Mysterium.

Urlaub zwischen Fantasie und Wirklichkeit
Gemeinsam mit den Co-Autoren Lawrie Doran und Blaž Kutin entwirft Gerster ein Drehbuch, das seine Stärke aus dem Kontrast zieht. Zwischen der Oberflächlichkeit des Urlaubslebens und der existenziellen Schwere einer möglichen Schuld. Die sonnendurchtränkten Hotelanlagen, das sanfte Rauschen des Meeres, das elegante Nichtstun der Gäste, all das steht im Widerspruch zu der dunklen Frage, was mit Dave passiert ist.
Das Hotelzimmer der Familie trägt die Nummer 555, eine symbolische Zahl, die im Film immer wieder aufscheint und das Spiel mit Illusion und Realität betont. Wer in den Urlaub fährt, betritt ein Zwischenreich, eine Welt außerhalb der Verpflichtungen, eine Pause vom echten Leben. Doch was passiert, wenn dieser Schwebezustand nicht endet? Islands führt diese Idee bis zur Konsequenz: Für Tom ist das Paradies längst zur Hölle der Bedeutungslosigkeit geworden. Anne bleibt seltsam ungerührt über das Verschwinden ihres Mannes. Während die Polizei ermittelt, in langen, nicht untertitelten Gesprächen auf Spanisch, die für zusätzliches Unbehagen sorgen, rutscht Tom immer tiefer in die Rolle des Ersatzvaters. Er beginnt, sich um Anton zu kümmern, spielt mit ihm, begleitet ihn, füllt die Lücke, die Dave hinterlassen hat. Doch je stärker er sich bindet, desto deutlicher wird, dass er genau das Leben nachspielt, dem er einst entkommen wollte.

Symbolik, Atmosphäre und innere Spannung
Gerster nutzt die karge Landschaft Fuerteventuras meisterhaft, um die Isolation seiner Figuren zu spiegeln. Die Insel wirkt wie ein Ort außerhalb der Zeit, geprägt von erstarrter Tourismusarchitektur, leeren Straßen und einer Hitze, die jede Bewegung schwer macht. Runaway-Kamele, Vulkangestein, verlassene Hotelbars: Islands wirkt wie ein Traum, der kurz davor ist, in einen Albtraum umzuschlagen. Die Musik von Dascha Dauenhauer verstärkt diesen Eindruck. Ihre Kompositionen zitieren klassische Noir-Motive, mischen Jazz mit düsterem Ambient und verleihen dem Film eine zeitlose Eleganz. Gleichzeitig trägt die stilisierte Inszenierung dazu bei, dass die Grenzen zwischen Gegenwart, Erinnerung und Wunschvorstellung verschwimmen.
Mit zunehmender Dauer verwandelt sich Islands von einem psychologischen Krimi in ein existenzielles Drama. Der verschwundene Dave wird zur Metapher für das, was Tom in sich selbst verloren hat. Verantwortung, Sehnsucht, einen Platz in der Welt. Die Spannung entsteht weniger durch äußere Ereignisse als durch die leise, unaufhaltsame Erkenntnis, dass niemand wirklich vor sich selbst davonlaufen kann.
Fazit
Am Ende ist Islands weniger ein Thriller als eine Meditation über das Scheitern am eigenen Traum. Gerster erzählt mit hypnotischer Präzision, aber auch mit überraschender Wärme. Trotz der giftigen Atmosphäre und der ständigen Andeutung von Gefahr bleibt der Film merkwürdig hoffnungsvoll. Er zeigt, dass selbst ein Leben voller Fluchtmomente letztlich die Sehnsucht nach echter Nähe nicht auslöschen kann.
Sam Riley trägt den Film mit einer Mischung aus Coolness und Verletzlichkeit. Während Stacy Martin ihre Rolle als undurchschaubare Femme fatale perfekt balanciert. Die Kamera von Frank Griebe fängt die gleißende Sonne, die flirrende Hitze und die unheimliche Ruhe der Insel in Bildern ein, die sich einbrennen. Islands ist ein langsamer, aber fesselnder Film, ein Noir über verlorene Menschen in einer zu hellen Welt. Er fragt, was bleibt, wenn man alles hinter sich lässt, und findet eine Antwort, die so einfach wie schmerzhaft ist. Man nimmt sich immer selbst mit.

