Wenn ein Studio für seine Fähigkeit bekannt ist, großartige Fortsetzungen zu schaffen, dann ist es Sucker Punch. Nach Sly 2: Band of Thieves und inFAMOUS 2 beweist das Entwicklerteam mit Ghost of Yotei erneut, wie man auf einer erfolgreichen Grundlage aufbaut und sie konsequent verbessert. Fünf Jahre nach dem bahnbrechenden Ghost of Tsushima präsentiert sich der Nachfolger als das stärkste, reifste und wohl schönste Spiel des Studios, ein Werk, das die Essenz seines Vorgängers aufgreift und in nahezu jeder Hinsicht verfeinert. Ghost of Yotei ist kein radikaler Neuanfang, sondern eine evolutionäre Fortsetzung, die das bewährte Fundament des Originals nutzt und es um Freiheit, Entdeckung und emotionale Tiefe erweitert. Wer mit dem ersten Teil wenig anfangen konnte, wird hier keine Wunderheilung erleben, doch für alle Fans der Samurai-Saga ist dieser Titel ein Triumph moderner Open-World-Kunst.
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Eine neue Ära, eine neue Rache
Die Geschichte spielt über 300 Jahre nach den Ereignissen von Ghost of Tsushima auf der nördlichen Insel Ezo, rund um den majestätischen Berg Yōtei. Jin Sakai ist längst Legende, nur ein Schatten der Vergangenheit. An seine Stelle tritt Atsu, eine Onryō, ein ruheloser Geist, die Rache für den Mord an ihren Eltern sucht. Ihre Feinde sind die berüchtigten Yōtei Six, deren Tod sie mit kalter Entschlossenheit verfolgt. Atsus Rachefeldzug erinnert in seiner Emotionalität und Härte an The Last of Us Part II.

Über 16 Jahre hat sie ihre Wut genährt und reflektiert, und im Laufe des Spiels erfährt man in geschickt platzierten Rückblenden immer mehr über ihre tragische Vergangenheit. Die Geschichte verknüpft Gegenwart und Vergangenheit meisterhaft miteinander und offenbart nach und nach, warum Atsu so handelt, wie sie handelt. Die narrative Struktur bleibt dabei kontrolliert: Auch wenn man theoretisch die Yōtei Six nach eigenem Ermessen jagen darf, öffnet sich die Karte schrittweise und führt die Spielerinnen und Spieler durch eine klar definierte Kampagnenstruktur. Das sorgt für eine Balance zwischen Freiheit und erzählerischer Dichte, eine Stärke, die viele moderne Open-World-Spiele vermissen lassen.
Freiheit durch Entdeckung
Die offene Welt von Ghost of Yotei ist etwa so groß wie die von Tsushima, fühlt sich jedoch deutlich organischer an. Sucker Punch verzichtet auf überladene Karten voller Symbole und Wegpunkte. Stattdessen ist die Insel Ezo von einem geheimnisvollen Nebel der Unwissenheit überzogen. Nur wer Orte tatsächlich besucht, enthüllt sie dauerhaft auf der Karte. Die Windmechanik kehrt zurück und führt Spielerinnen und Spieler dezent in die gewünschte Richtung. Doch der eigentliche Reiz liegt darin, sich treiben zu lassen: Quests werden nicht automatisch vergeben, sondern ergeben sich aus Begegnungen mit NPCs, gefundenen Hinweisen oder durch das Befragen von Gegnern. Die Welt will entdeckt werden, nicht abgearbeitet.

Altbekannte Nebenaktivitäten wie Bambus-Herausforderungen, Schreine und Fuchsverstecke feiern ihr Comeback, ergänzt durch neue Aufgaben wie Sumi-e-Malerei, Wolfsjagden, Kopfgelder und Banditenlager. Jede Aktivität ist sinnvoll platziert, um Wiederholungen zu vermeiden. Neue Ausrüstungen, Charms und Upgrades belohnen die Neugier und sorgen für eine konstante Progression. Das Erkunden fühlt sich dadurch lohnend an, nicht, weil das Spiel dich zwingt, sondern weil du es willst. Ghost of Yotei meistert die Kunst, Entdeckung als Belohnung selbst zu gestalten.
Kampfkunst mit Tiefe und Stil
Das Kampfsystem gehört zu den beeindruckendsten Weiterentwicklungen des Spiels. Die bekannte Haltungsmechanik wurde zugunsten eines breiteren Waffenarsenals überarbeitet. Atsu kann zwischen fünf Hauptwaffen wechseln: Katana, Doppelkatanas, Odachi, Speer und Kusarigama. Jede Waffe hat klare Stärken und Schwächen, abhängig vom Gegner. Dieses System verlangt ständiges Anpassen und belohnt taktisches Denken. Ergänzt wird das Ganze durch Fernkampfoptionen wie Pfeil und Bogen, den neuen Steinschloss-Musketen sowie Spezialwerkzeuge wie Rauchbomben, Brandklingen und Blendgranaten.

Das Gefühl im Kampf ist intensiv und präzise. Jede Auseinandersetzung ist dynamisch, jedes Duell fordert Konzentration. Atsu kann Gegner entwaffnen, Spezialangriffe mit ihrem „Geistergeist“-System ausführen und im letzten Moment Konter platzieren, was zu filmreifen Momenten führt. Neu ist auch die Interaktion mit dem Wolf, der gelegentlich in Kämpfen auftaucht, um Feinde abzulenken oder anzugreifen. Er lässt sich durch abgeschlossene Wolfsdungeons verbessern, ist aber kein ständiger Begleiter. Stattdessen wirkt er wie ein mystischer Zufall, der Kämpfen zusätzliche Spannung verleiht. Sucker Punch gelingt hier ein bemerkenswerter Spagat: mehr Komplexität, ohne den Spielfluss zu bremsen.
Schönheit, Kultur und Technik in Perfektion
Grafisch ist Ghost of Yotei ein echtes Aushängeschild für die PlayStation 5. Die Landschaften rund um den Berg Yōtei sind atemberaubend, goldene Felder, verschneite Dörfer und nebelverhangene Wälder wechseln sich ab, während das Lichtspiel und die Partikeleffekte auf höchstem Niveau glänzen. Nur bei Nahaufnahmen fällt gelegentlich ein Qualitätsunterschied auf: Einige Nebenfiguren wirken grob texturiert, und auch Atsu verliert außerhalb von Zwischensequenzen etwas an Detail. Diese kleinen Schwächen verblassen jedoch im Anblick der Gesamtästhetik. Sucker Punch nutzt zudem die DualSense-Funktionen beeindruckend umfassend. Der Touchpad dient nicht nur zur Interaktion mit dem Wind oder Instrumenten, sondern auch für künstlerische Elemente wie das Malen von Sumi-e oder das Schmieden von Waffen. Haptisches Feedback, adaptive Trigger und Bewegungssensoren greifen nahtlos ineinander. Kaum ein anderes PS5-Spiel nutzt die Hardware so kreativ und ganzheitlich.

Die grafischen Modi bieten ebenfalls große Flexibilität: Performance mit 60 FPS, Quality mit höherer Auflösung, Raytracing-Modus für 30 FPS und auf PS5 Pro eine Kombination aus beidem. In unserem Test lief der Raytracing-Pro-Modus konstant stabil und sah dabei schlicht spektakulär aus. Abgerundet wird das Ganze durch drei kreative Bonusmodi: den klassischen Kurosawa-Modus in Schwarzweiß, den blutig-dreckigen Miike-Modus und den lo-fi-inspirierten Watanabe-Modus, stilistische Liebeserklärungen an das japanische Kino und die Popkultur.
Fazit – Die Krönung von Sucker Punch
Ghost of Yotei ist mehr als nur eine gelungene Fortsetzung, es ist das bislang beste Werk von Sucker Punch. Das Spiel perfektioniert, was Ghost of Tsushima so besonders gemacht hat: eine lebendige Welt, emotional erzählte Geschichten und intensives, filmreifes Samurai-Gameplay. Mit Atsu als faszinierender Hauptfigur, dynamischen Kämpfen, cleverem Weltdesign und meisterlicher Technik liefert das Studio ein Spiel, das zeigt, wie moderne Open-World-Titel aussehen sollten. Nur kleinere Features wie das Camping-System wirken überflüssig, und die teils schwache NPC-Darstellung trübt minimal den Glanz. Doch das große Ganze bleibt überwältigend. Sucker Punch hat sich selbst übertroffen, Ghost of Yotei ist ein episches, wunderschön inszeniertes Abenteuer, das den Geist des Samurai perfektioniert.

