Wuchang: Fallen Feathers – Review

    Der Debüttitel des chinesischen Studios Leenzee präsentiert mit Wuchang: Fallen Feathers ein atmosphärisches Erlebnis. Majestätisch anmutende Berggipfel, die wie aus Tusche und Seide geboren wirken und das Echo einer zerfallenden Ordnung, das durch verwitterte Tempel und verlassene Dörfer hallt. Das Spiel will mehr sein als nur ein Echo von FromSoftware’s Souls-Meisterwerken, es geht mit dem Anspruch ins Rennen ein einzigartiges Soulslike zu sein, das sich mit kalligrafischer Schönheit und mythopeotischer Tiefe von der Masse abhebt.

    Altar in Wuchang Fallen Feathers
    Quelle: wuchanggame

    Art Direction & Atmosphäre: Die Eleganz des Verfalls

    Eine der großen Stärken des Spiels ist die dichte Atmosphäre, die aus einem stimmigen Gestaltungskonzept entspringt. Die visuelle Gestaltung von Wuchang: Fallen Feathers ist nicht nur stilistisch schön, sie steckt voller kunsthistorischer Referenzen. Das Durchlaufen der Spielwelt wird dadurch auch zu einer Erkundung visueller Zitate klassischer chinesischer Kunst, insbesondere der Landschaftsmalerei der Song- und Yuan-Dynastie. Das Weltendesign erinnert an vielen Stellen an Ma Yuans „Dancing and Singing (Peasants Returning From Work)“. Wie in dem Bild herrscht auch in der Welt von Wuchang: Fallen Feathers eine Mischung aus Melancholie, Leerraum und struktureller Eleganz. Die Welt von Wuchang: Fallen Feathers ist vielmehr als nur ein Hintergrund, sie ist ein narratives Subjekt und sie spricht, flüstert, schreit.

    Jede Region setzt einen eigenen melancholisch-ästhetischen Schwerpunkt und entwickelt daraus seine eigene sehr intensive Wirkung: neblige Bambuswälder, verfallene Klöster, Ruinen am Fuße klirrender Wasserfälle. Die Topografie der Welt spiegelt emotionale Zustände wider: Isolation, Verlust, Hoffnung. Der Nebel ist nicht nur atmosphärisch, sondern metaphorisch und dient als Ausdruck des inneren Zustands der Protagonistin. Selten hat ein Spiel in diesem Genre so viel Wert auf die semantische Dichte seiner Umgebungen gelegt und wir können dem Studio sehr dankbar dafür sein, dass es bei Wuchang: Fallen Feathers so gehandhabt wurde.

    Wuchang auf dem Weg in den kaiserlichen Palast
    Das Durchlaufen der Spielwelt wird dadurch auch zu einer Erkundung visueller Zitate. Quelle: Wuchanggame

    Story & Figuren: Zwischen Mythos und Monster

    Die narrative Prämisse ist aus andern Souls-Titeln mehr als bekannt und hier folgt Wuchang: Fallen Feathers einer bewährten und wenig inspirierten Formel: Eine Heldin ohne Erinnerung, eine Welt im Verfall, eine Krankheit, die Mensch und Monster voneinander trennt. So weit so gewöhnlich, doch Wuchang nutzt diese Tropen, glücklicherweise, nicht nur als Genrestandard, sondern als Ausgangspunkt für eine subtile, in die Story verwebte, Reflektion über Identität, Angst und Transformation. Bai Wuchang, einst Piratin, nun Getriebene, ist weniger eine Heldin mit Agenda als eine Projektionsfläche für Themen wie Selbstverlust, moralische Ambivalenz und gesellschaftliches Misstrauen. Trotz dieser vermeintlichen Tiefe in der Story, sollten Spielerinnen und Spieler an dieser Stelle nicht zu viel Tiefgang erwarten.

    Im Bereich der Story und des Gameplays gibt es jedoch ein Highlight, das es zu erwähnen lohnt. „Feathering“, die Krankheit, die die Menschen befällt, verwandelt nicht nur die Körper und den Verstand der Befallenen, sondern auch die Reputation in der Gesellschaft. NPCs reagieren nicht nur auf die Welt, sondern auch auf den Zustand der Protagonistin. Sie wird gefürchtet, gemieden, bekämpft. Der Spieler selbst steht damit in der moralischen Grauzone: Töten wir aus Notwehr oder aus Angst? Jeder Kampf gegen einen „normalen“ Menschen hebt den Wahnsinnslevel, eine mechanische wie erzählerische Spiegelung des moralischen Zerfalls.

    Trotzdem entfalten sich die erzählerischen Ansätze nur wenig. Bai selbst bleibt erstaunlich leer. Ihre Vergangenheit als Piratin wird nur gestreift, nie wirklich erzählt. Das ist bei einem Spiel, das sich gegen einen frei erstellbaren Charakter entscheidet, eine vergeudete Chance, da eine solche Entscheidung einen großen erzählerischen Vorteil geliefert hätte. So entsteht eine narrative Lücke, ein fehlender dramatischer Kern, der Bai Wuchang tiefer in die Geschichte integriert.

    Wuchang mit Priester
    NPCs reagieren nicht nur auf die Welt, sondern auch auf den Zustand der Protagonistin. Quelle: Wuchanggame

    Wuchang: Fallen Feathers – Kampfsystem & Gameplay

    Wuchang versteht Kampf nicht als reaktives Moment, sondern als Ausdruck des Willens. Jeder Waffentyp, vom wendigen Doppelschwert bis zum majestätischen Speer, verändert das Spielgefühl fundamental. Es geht nicht darum, wie man kämpft, sondern wer man im Kampf wird. Das Impetus Repository, das komplexe Fertigkeitensystem des Spiels, ist ein monumentaler Stammbaum aus unterschiedlichsten Fähigkeiten, die viele unterschiedliche Spielstile erlauben. Egal ob man sich als schwer gepanzerter Blocker, wendiger Ausweicher, erfahrener Magier oder kompromissloser Pariermeister versucht, Wuchang: Fallen Feathers bietet für jeden Spielstil eine passende Antwort. Das Beste daran: Fähigkeiten lassen sich jederzeit kostenlos zurücksetzen, wodurch Experimente mit Builds nicht nur erlaubt, sondern aktiv gefördert werden.

    Diese Freiheit lädt zum Experimentieren ein, ohne dabei Strafe zu riskieren. Spielerinnen und Spieler können den Stil wechseln, Mechaniken verknüpfen, neue Strategien entwickeln. Besonders gelungen ist die Mechanik der „Skyborn Might“: ein Ressourcenpool, der durch perfektes Timing und Risikobereitschaft aufgeladen wird und magische Angriffe erlaubt. Diese wiederum sind nicht einfach frei zugänglich, sondern werden durch das Besiegen besonderer Gegner freigeschaltet. Diese Art von Belohnung fühlt sich passend und stimmig an, da sie Lernen und Leistung miteinander verknüpft.

    Die Madness-Mechanik, ein weiteres Highlight des Spiels, bringt zusätzlich Tiefe: Je mehr Wahnsinn Bai sammelt, desto näher rückt der innere Dämon. Dieser stellt eine aggressive Version von ihr selbst dar, die an der eigenen Todesstelle spawnt und bekämpft werden muss. Man kann diese Kreatur aber auch taktisch nutzen, zum Beispiel um Feinde zu bekämpfen, bevor man sich ihr selbst stellt. Hier wird Wuchang: Fallen Feathers schon fast sokratisch: der Kampf gegen sich selbst als ultimative Prüfung.

    Kampf im Palast - Wuchang
    Es geht nicht darum, wie man kämpft, sondern wer man im Kampf wird. Quelle: Wuchanggame

    Balancing & Schwierigkeitsgrad: Zwischen Triumph und Tortur

    Das Balancing von Wuchang: Fallen Feathers ist eine Achterbahn. In den ersten zehn Stunden wirkt das Spiel wie ein zugängliches Soulslike: fordernd, aber nie frustrierend. Die Bosse erinnern an typisches Personal anderer Soulslike-Titel und treten als giftspuckende Tausendfüßler oder geisterhafte Priester in Erscheinung mit klaren und lernbaren Mustern gegen euch an. Der Tod ist lehrreich aber nicht lähmend. Doch irgendwann kippt die Kurve: Plötzlich erscheinen Bosse, deren Angriffe kaum telegraphiert sind, deren Schaden grotesk hoch ausfällt, deren Movesets kaum zu kontern sind.

    Die Schwankungen im Schwierigkeitsgrad wirken mitunter weniger wie eine organische Steigerung, sondern eher wie Brüche im Spieldesign. Besonders auffällig: Einige Bosse setzen stark auf Präzision oder Pariermechaniken – Fähigkeiten, die nicht jede Waffe zu Spielbeginn unterstützt. Die Folge: Wer stur an seinem Lieblings-Build festhält, läuft Gefahr, keine faire Chance zu haben. Doch statt eines fehlenden Feinschliffs offenbart sich hier die eigentliche Bedeutung der kostenlosen Skill-Resets: Sie sind nicht bloß ein willkommenes Komfort-Feature, sondern ein zentrales Werkzeug, um die Herausforderungen zu meistern.

    Ein Soulslike soll fordernd sein – aber es muss sich zugleich fair anfühlen. Wer die Reset-Mechanik ignoriert, mag in einzelnen Passagen den Eindruck gewinnen, dass Wuchang: Fallen Feathers diese Grenze punktuell überschreitet. Eine Kritik, die in der Community zu hören ist, die der Autor jedoch nur eingeschränkt nachvollziehen kann.

    Leveldesign: Die Kunst der Verbindung

    Wo FromSoftware Meisterschaft demonstriert hat, folgt Wuchang: Fallen Feathers mit gekonnter Hand. Die Weltkarte ist kein Flickenteppich, sondern ein kunstvoll geknüpfter Knoten: Versteckte Abkürzungen, vertikale Ebenen, Sichtachsen auf weit entfernte Orte, die man Stunden später erreicht. Wie die bekannten Dark Souls-Titel nutzt auch Wuchang: Fallen Feathers Raum als Gedächtnis. Man erkennt Orte wieder, kehrt zurück, stellt Verbindungen her. Die Erfahrung ist organisch und belohnend.

    Die sogenannten „Shrines“, Speicherpunkte, Schnellreiseknoten, und Respawn-Orte, sind hervorragend gesetzt. Nie fühlt man sich verloren, aber auch nie bevormundet. Das Spiel schafft es, Spielerinnen und Spieler zur Erkundung zu motivieren, ohne sie durch Marker oder Mini-Maps zu bevormunden. Es ist kein Open-World-Spiel, aber es fühlt sich größer an, weil es klug designt ist.

    Mondlandschaft in Wuchang
    Wo FromSoftware Meisterschaft demonstriert hat, folgt Wuchang: Fallen Feathers mit gekonnter Hand. Quelle: Wuchanggame

    Bosskämpfe & Gegnerdesign: Grazie trifft Grauen

    Die Bosskämpfe sind sorgfältig inszenierte Albträume – jeder Gegner ein visuelles Statement, oft grotesk, manchmal von tragisch-schöner Ästhetik durchbrochen. Diese bewusste Ambivalenz erinnert an die Tradition japanischer Horrorkunst. Inhaltlich oszillieren die Bosse zwischen archaischem Schrecken – tierhaften Monstrositäten – und zutiefst menschlichen Spiegelbildern. Gerade Letztere sind eindrucksvoll umgesetzt. Spielerisch überzeugen die Kämpfe mit flüssigen, wuchtigen und gnadenlosen Bewegungsabläufen, die den Stresspegel bis zum Maximum treiben und dennoch stets motivierend bleiben. Manche Angriffsmuster wirken allerdings so vertraut, dass man sich fragen muss, ob hier Hommage oder dreiste Kopie vorliegt. Doch am Ende überwiegt die Freude: Im Rhythmus der Auseinandersetzungen fühlt man sich, als würde man mit den Bossen tanzen – eine Qualität, die selbst FromSoftware kaum besser inszeniert.

    Besonders gelungen sind jene Bosse, die Geschichten allein durch ihr Design erzählen: etwa ein Wächter, der um seine gefallenen Brüder trauert, oder ein Dämon, dessen Körper von Schriftzeichen überzogen ist, die er selbst nicht mehr entziffern kann. Allerdings gilt das nicht für alle Begegnungen: Einige Kämpfe bleiben bloße Skill-Checks ohne erzählerischen Mehrwert – mechanische Barrieren statt narrative Prüfungen.

    Bosskampf in Wuchang Fallen Feathers
    Im Rhythmus der Auseinandersetzungen fühlt man sich, als würde man mit den Bossen tanzen. Quelle: Wuchanggame

    Fazit: Ein Werk mit Feder, aber ohne Flügel

    Wuchang: Fallen Feathers ist ein bemerkenswertes Debüt, ein kulturelles Artefakt im Medium Videospiel. Es ist nicht perfekt, doch seine Imperfektionen erzählen ebenso viel wie seine Stärken. Wer bereit ist, sich auf die stille Poesie, die mythologischen Brüche und die mechanische Tiefe einzulassen, wird ein Werk erleben, das mehr ist als die Summe seiner (offensichtlich geliehenen) Teile.

    Für Freunde von Soulslikes ist es ein Muss. Für Liebhaberinnen und Liebhaber chinesischer Ästhetik eine klare Empfehlung. Und für all jene, die glauben, dass Spiele nicht nur unterhalten, sondern auch erzählen, irritieren und fordern dürfen, eine Reise, die sich lohnt.

    Übersichtstabelle

    Kategorie Details
    Plattformen PS5, PC (Steam/Epic), Xbox Series X
    Release 24. Juli 2025
    Preise Standard: ca. 44,99 € (PC/Xbox), Deluxe (PS5): 59,99 €, Game Pass: Abo-Preis
    PC-Anforderungen Min: i5‑8400/R5 1600, GTX 1060/RX 580, 16 GB RAM, 60 GB. Empf.: i7‑9700/R5 5500, RTX 2070/RX 5700 XT/Arc A750, SSD.
    Engine / Genre Unreal Engine 5 / Soulslike Action RPG
    Entw. & Publ. Leenzee / 505 Games
    Komponist, Leitung Xia Siyuan / Anti‑General
    Andreas Danner
    Ich liebe Games seit die ersten Pentium Rechner das Licht der Welt erblickten. Ob Soulslikes, narrative RPGs oder Indie-Perlen mit neuen Perspektiven, mich faszinieren spannende Kompositionen aus Design, Gameplay und Story, auch in VR und KI-getriebenen Welten. Games sind für mich nicht nur Unterhaltung, sondern auch Kunst und Kultur.