„Das Spiel beginnt, wenn du verlierst.“ Diesen Satz liest man oft in Soulslike-Foren. Er fasst eine Philosophie zusammen, die die Seele eines ganzen Genres bildet: dass es nicht das Siegen ist, das zählt, sondern der Weg durch das Scheitern, das Lernen, das Überwinden. Im Fall von No Rest for the Wicked, dem düster-poetischen Action-RPG von Moon Studios (Ori and the Blind Forest, Ori and the Will of the Wisps), scheint dieser Gedanke besonders zutreffend, nicht nur im Spiel selbst, sondern auch in seiner eigenen Entstehungsgeschichte. Nach einem stark beachteten Early-Access-Start, einer ambitionierten Erweiterung The Breach und einem scharfen Backlash samt dramatisch fallender Steam-Bewertungen steht die Frage im Raum: Ist jetzt der richtige Moment, um (wieder) einzusteigen?
Die Antwort ist komplex. Aber sie könnte „ja“ lauten, wenn man weiß, was einen erwartet.
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Ein Spiel als ästhetische Widerstandserfahrung
No Rest for the Wicked ist mehr als nur ein weiteres Action-RPG. Es ist ein Spiel, das bewusst auf Reibung und Unangepasstheit setzt, vor allem in den Bereichen der Ästhetik und Gestaltung. Der Stil ist markant: eine Welt, die aussieht wie ein verwittertes Ölgemälde, irgendwo zwischen Tafelbild und Traumfragment. Statt auf Fotorealismus oder Effektgewitter zu setzen, vertraut das Spiel auf handgemalte Landschaften und atmosphärische Tiefe.
Dieser visuelle Stil ist keine Spielerei, sondern Teil von Moon Studios Konzept: eigenwillige Schönheit als Kontrast zur herausfordernden Härte der Spielmechanik. Denn wer Sacra betritt, betritt keinen Wohlfühlraum, sondern landet mitten in einem Verhängnis. Schon das erste Gebiet macht das unmissverständlich klar: Der endlose Regen nach dem Schiffbruch, das grollende Unwetter, das nicht weicht, all das verstärkt das Gefühl, dass hier nichts besser wird. No Rest for the Wicked verlangt nach der Auseinandersetzung mit seinen Systemen, mit seinem Rhythmus, mit dem eigenen Scheitern. Es ist kein Spiel, das sich anbiedert. Und genau das macht es so spannend und interessant.

The Breach – Aufbruch und Bruch
Mit dem Update The Breach hat Moon Studios nicht einfach nur neue Inhalte hinzugefügt. Es hat das Spiel fast neu erfunden. The Breach liefert zwei neue, weitläufige Zonen (Lowland Meadows und Marin Woods), ein Pestilenzsystem à la Diablo Helltide, neue Waffenklassen (Gauntlets und Wands), und fundamental überarbeitete Progressions- und Kampfsysteme. Insgesamt sind die Änderungen nachvollziehbar, doch mit dieser Transformation kam auch der Bruch mit einem Teil der Spielerschaft. Was als Weiterentwicklung gedacht war, wurde von vielen als Frustspirale erlebt: zu wenig Loot, zu langsame Fortschritte, zu schwer balancierte Gegnergruppen, frustrierende Mob-KI. Die Steam-Reviews rutschten drastisch ab.
Moon Studios antwortet – und zeigt Haltung
Was daraufhin geschah, verdient Beachtung: Moon Studios reagierte nicht mit Marketing-Geschwurbel oder PR-Relativierung, sondern mit einem offenen, selbstkritischen Hotfix, der auf beinahe alle Community-Kritikpunkte einging: Mehr XP, besserer Loot, faire Upgrade-Preise, Feinjustierung der Parry-Fenster, unterbrechbare Bossangriffe und ein verbessertes UI. Moon Studios machte mit diesem Schritt deutlich, dass nicht nur die Community, sondern auch das Studio für das Spiel brennt und es als das begreift was es ist. Es ist mehr als nur ein Produkt, das sehr lange im Early Access für großartige Spielerfahrungen gesorgt hat, es ist ein Prozess. Und wer an einem solchen Prozess teilnimmt, seien es die Entwickler oder die Spieler, muss bereit sein zuzuhören, loszulassen, neu zu denken.

No Rest for the Wicked: Ein Spiel, das sich seiner Zeit stellt
Medientheoretisch betrachtet lässt sich No Rest for the Wicked als Gegenentwurf auf eine Gaming-Kultur deuten, die von Überfülle, Zugänglichkeit und Instant Gratification geprägt ist. Das Spiel bietet keinen Strom aus Content, sondern liefert dichtes Gameplay. Es ist slow gaming im Gewand eines Soulslike-Hardcore-Games und damit ein Gegenentwurf zur algorithmischen Optimierung unserer Aufmerksamkeiten. Die Integration von Life-Sim-Elementen Häuser bauen, Felder bestellen, NPCs mit Ressourcen versorgen ist kein bloßes Feature, sondern fast eine Botschaft: Selbst im Chaos der Pest gibt es Routine. Selbst in der Apokalypse bleibt Raum für Fürsorge. Gleichzeitig stellt das Spiel existenzielle Fragen über Macht, Moral und Erlösung: Was bedeutet es, ein „Retter“ zu sein, wenn man selbst Teil eines zerrütteten Systems ist? Was ist Gnade wert, wenn das Land selbst verflucht ist?
Für wen sich der Einstieg jetzt lohnt
No Rest for the Wicked ist ein wertvolles und besonderes Erlebnis für alle, die in Spielen mehr suchen als mechanische Perfektion. Für alle, die gerne verlieren, scheitern und mit noch größerer Entschlossenheit zurückkommen. Für Fans von Spielen wie Blasphemous, Hollow Knight, Salt & Sanctuary oder Diablo. Für alle, die ein Faible für ästhetische Weltentwürfe und dichte Narration haben. Und auch für Indie-Fans, die Studios dabei zusehen möchten, wie sie wachsen, lernen und sich trauen, nicht allen gefallen zu wollen. No Rest for the Wicked ist kein Crowdpleaser aber es ist ein Spiel mit besonderem Charakter und einzigartiger Haltung. Und genau solche Spiele brauchen wir noch mehr in dieser Branche.
Fazit: Im Sturm liegt das Versprechen
No Rest for the Wicked ist eine Reise wert. Eine Reise, die nicht frei ist von Turbulenzen. Es schwankt. Es ruckelt. Es überfordert manchmal. Aber es ist ein Spiel, das atmet, das lernt, und das in seinen Makeln stets sympathisch ist. Nach dem großen Update The Breach und der ersten Welle der Korrektur, ist der Moment gekommen, um neu einzusteigen oder endlich den ersten Schritt nach Sacra zu wagen. Denn was könnte aufregender sein, als einem Spiel dabei zuzusehen, wie es sich selbst findet und dabei auch uns verändert?
Titel | No Rest for the Wicked |
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Entwickler | Moon Studios (Ori and the Blind Forest) |
Publisher | Private Division / Take-Two Interactive |
Erstveröffentlichung | 18. April 2024 (Early Access) |
Plattformen | PC (Windows), PlayStation 5, Xbox Series X/S, GeForce Now |
Genre | Action-Rollenspiel, Soulslike, Adventure |
Spielmodus | Einzelspieler, Koop (bis 4 Spieler), PvP |
Vertrieb | Digital (Steam, Epic Games Store), Proprietäre Lizenz |
Aktueller Stand | Early Access – fortlaufend erweitert |