Dead Men Tell No Tales – Test

Nach eurer letzten Breitseite hat die „Skelit’s Revenge“ Leck geschlagen. Ihr betrachtet das brennende Schiff, Entermesser in der Hand, während der Kapitän von hinten seine Befehle brüllt. Eure Kameraden laden Kanonen nach, dichten Lecks ab, sind mit der Takelage zu Gange, aber all dies ist nicht eure Aufgabe.
Eure Aufgabe ist es, die Schätze aus dem sinkenden Piratenschiff zu stehlen. Einem Piratenschiff, das in Brand steht und bis zum Bersten mit Pulverfässern gefüllt ist. Einem Piratenschiff, dessen Crew aus zahllosen, untoten Skeletten besteht. Einem Piratenschiff, das ihr noch nie von innen gesehen habt.
Einem Piratenschiff, das leicht zu eurem Grab werden kann.

Übersicht

Dead Men Tell No Tales ist ein kooperatives Brettspiel für 2 bis 5 Spieler, welches etwa 60 bis 90 Minuten dauert. Das Spielprinzip ähnelt einer Mischung aus Pandemic und Flash Point, gewürzt mit einem leichten Schuss Dungeon Crawler. Es richtet sich eher an erfahrenere Brettspieler, was aber zu einem großen Teil am Schwierigkeitsgrad liegt. Die Regeln sind einfach, leicht zu lernen und verständlich.

Spielmaterial

Das Spielmaterial ist von guter Qualität und wundervoll designed. Neben den Räumen, aus denen sich das brennende Schiff aufbaut, bringen vor allem die roten und gelben Würfel, die die Hitze eines Raumes anzeigen, und die angesengt wirkenden Karten das Thema rüber – die Hitze ist geradezu fühlbar, eine omnipräsente Bedrohung, die sich durch alle Komponenten des Spiels zieht. Selbst die Marker für die Skelettmannschaft, die während des Spiels in einem weichen Stoffbeutel aufbewahrt werden, zeigen zwar die bedrohlichen Feinde, aber immer vor einem Hintergrund von Hitze und Flammen. Einzig die Schätze erfreuen sich eines blauen Hintergrundes, eine kühle Oase inmitten der rot-gelben Flammen, und fühlen sich dadurch tatsächlich wie ein Gewinn an, wie etwas Besonderes. Die Piratenmeeple – also die Spielfiguren – sind aus Holz, ebenso die Decksmänner. Auch ein nettes Beiwerk: Minion Games hat ein paar Ziplock-Beutel dazugelegt, um die Organisation der Komponenten zu erleichtern.
Alles in allem sind die Komponenten hochwertig und äusserst thematisch. Wer sein Spiel noch mal aufwerten möchte, kann zur Miniatures Expansion greifen, welche für jeden Piraten eine eigene Figur im 28mm-Maßstab bietet.

Spielablauf

Der Aufbau dauert nur wenige Minuten: Jeder Spieler erhält einen Piraten und einen Gegenstand, ausserdem eine Erschöpfungsanzeige und fünf Marker, um die Aktionen pro Runde darzustellen. Das Spielbrett besteht aus vier festgelegten Anfangsräumen – jeder einzelne davon natürlich brennend – und dem Anlegeplatz der Beiboote, auf denen die Schätze abtransportiert werden sollen. Ziel des Spiels ist es, eine vorher bestimmte Anzahl an Schätzen (welche natürlich von der untoten Mannschaft bewacht werden) aus dem Schiff zu holen und alle Piraten in die Beiboote zu bringen, bevor die „Skelit’s Revenge“ zu einem Wrack auf dem Meeresboden wird.

Eine Runde beginnt mit dem Ziehen und Anlegen eines neuen Raums vom Stapel, so fern noch einer vorhanden ist – genannt „Das Schiff durchsuchen“. Dabei müssen die Anlegeregeln beachtet werden (Türen dürfen nicht verdeckt werden). Ist es nicht möglich, den Raum anzulegen, heisst es leider „Spiel vorbei“. Ausserdem wird ein Marker für den Raum gezogen, welcher anzeigt, was darin zu finden ist. Das kann eine Luke sein, durch die neue Decksmänner erscheinen, oder ein Teil der untoten Mannschaft. Vielleicht ist es sogar ein Wächter, der einen der begehrten Schätze schützt.

Im nächsten Schritt führt der Pirat seine Aktionen aus. Dafür stehen ihm normalerweise 5 Aktionspunkte zur Verfügung, plus die, die sein Vorgänger ihm überlassen hat. Darunter fällt Bewegung, Feuer bekämpfen, Decksmänner entfernen, Dinge vom Boden aufheben, den ausgerüsteten Gegenstand auszutauschen oder die eigene Kampfkraft erhöhen. Ausserdem kann sich ein Pirat auch noch ausruhen.
Bewegung teilt sich in Gehen und Rennen auf und ist relativ simpel: Geht ein Pirat, so kann er sich einen Raum bewegen. Dabei erhöht sich seine Erschöpfung, falls er in einen heißeren Raum geht, um die Differenz der Hitze der beiden Räume. Rennt er Pirat, so kann er sich zwar für einen Aktionspunkt zwei Felder weit bewegen, muss aber auch 2 Punkte mehr Erschöpfung in Kauf nehmen.
Feuer bekämpfen reduziert den Hitzewerts des Raumes, in dem sich der Pirat gerade befindet, um 1.
Decksmänner sind Mitglieder der Mannschaft, die nicht am Kampf teilnehmen, aber trotzdem die Piraten behindern: Befinden sich 2 Decksmänner in einem Raum, können keine Gegenstände mehr aufgehoben werden, bei drei oder mehr ist der Raum sogar nicht mehr betretbar. Decksmänner verteidigen sich nicht; mit der Aktion „Decksmann entfernen“ kann ein Pirat einen Decksmann aus seinem aktuellen oder einem umliegenden Raum entfernen.
Das Erhöhen der Kampfkraft ist eine interessante Mechanik. Kämpfe werden durch einen einfachen Würfelwurf abgehandelt – erreicht der Spieler mit einem Wurf die Zielzahl auf dem Marker der Skelettmannschaft, so hat er sie besiegt. Erreicht er die Zahl nicht, muss er Erschöpfung in Höhe der Differenz in Kauf nehmen. Durch die Aktion „Kampfkraft erhöhen“ jedoch kann er sich vorher eine Reserve an Punkten aufbauen und, wenn er sich entscheidet, sie einzusetzen, seine Erschöpfung minimieren oder sogar den Kampf doch noch für sich entscheiden. Da die Punkte immer alle auf einmal eingesetzt werden, entsteht hier einiges an taktischer Überlegung, um das Maximum aus seinen Aktion herauszuholen.
Da ein Pirat nur begrenzt belastbar ist, ist es wichtig, die Erschöpfung zu managen. Mit der Aktion „Ausruhen“ schöpft der Pirat ein wenig neue Kraft.
Die Aktionspunkte, die nicht benutzt wurden, gehen übrigens temporär an den nächsten Spieler, so dass hier noch mal eine Menge Teamwork möglich ist.

Der letzte Teil des Zuges nennt sich „Skelit’s Revenge“. Hier zieht der Spieler eine Karte, die zeigt, wie sich das Feuer ausbreitet und was sonst passiert – vielleicht breiten sich die Decksmänner aus, oder die Skelettmannschaft marschiert auf die Piraten zu. Von besonderer Bedeutung sind hier die drei Karten, die bei zu großer Hitze Explosionen auslösen können. Ein explodierter Raum ist nicht mehr betret und kann möglicherweise ganze Teile des Schiffs vom Rest abschneiden. Überflüssig zu sagen, dass ein Pirat, der in einem Raum steht, wenn er explodiert, stirbt. Ausserdem erhöht eine Explosion die Hitze in den umliegenden Räumen, was schnell zu Kettenreaktionen führen kann.

Schwierigkeitsgrad

Bei kooperativen Spielen ist es mitunter etwas anspruchsvoll, den Grad zwischen „zu leicht“ und „zu schwer“ zu wandern. Dead Men Tell No Tales geht da ausdrücklich in Richtung schwer. Der einzigen Möglichkeit zu gewinnen stehen viele Möglichkeiten zu verlieren entgegen. Zu viele Explosionen? Verloren. Überrannt von Decksmännern? Verloren. Wichtige Teile des Schiffs unzugänglich? Verloren. Jemand stirbt während der Flucht? Verloren. Wir hatten nie das Gefühl, uns in einer sicheren Situation zu befinden – maximal haben wir ein Problem eingedämmt und mussten uns jetzt dringend um das nächste kümmern. Als relativ erfahrene Spieler haben wir auf dem mittleren Schwierigkeitsgrad eine Gewinnquote von etwa 50%. Das sehe ich als fast perfekt an, zumal jeder unserer Verluste auf einen oder mehrere taktische Fehler zurückzuführen war, anstatt auf eine unlösbare Problemstellung.

Fazit

Es fällt mir schwer, negatives über Dead Men Tell No Tales zu sagen. Die Komponenten sind stimmig und qualitativ hochwertig, das Spiel ist weder zu lang noch zu kurz, es ist leicht zu lernen und schwer zu meistern. Sollte das Grundspiel irgendwann langweilig werden, so gibt es noch die Erweiterung „The Kraken“, welche ein wütendes Seeungeheuer ins Spiel bringt.
Ein einziger kleiner Wermutstropfen: So weit es mir bekannt ist, existiert keine deutsche Version.

Im Endeffekt bin ich mehr als glücklich mit Dead Men Tell No Tales. Für mich hat es Flash Point praktisch komplett ersetzt und ich kann mir nicht vorstellen, es jemals zu verkaufen oder zu tauschen.

Patrick Gerk
Ich habe Ende der 80er mit meinem Amiga angefangen und seitdem haben Videospiele einen permanenten Platz in meinem Herzen. Ich mag alles, was Leute zum spielen zusammenbringt, sei es analog oder digital. Seit Ende 2018 schreibe ich für Game2gether.de und konzentriere mich auf Retro- und Koopspiele.