Kingdoms of Amalur: Reckoning – Test / Review

Charakter wechsel dich!

Welchen Charakter ihr dabei spielt, ist ganz allein eure Sache – denn hier greift bereits eines der Elemente, die vermutlich im Vorfeld als „Revolution“ angekündigt worden waren – und das tatsächlich zu Recht! Ihr spielt nämlich nicht entweder Magier ODER Schurke ODER Krieger. Tatsächlich gibt es zwar drei sehr umfangreiche Talentbäume mit voneinander abhängigen Talenten und Attributen, es gibt aber auch sogenannte „Schicksale“, die euch je nach Bedarf beispielsweise Extraschaden im Nahkampf, zusätzlichen Zauberschaden und Manaregeneration oder höheren Schaden bei verstohlenen Angriffen aus dem Hinterhalt bieten – und diese Schicksale können flüssig während des Spiels, ja sogar im Kampf (!) gewechselt werden. Wieso das möglich ist? Nun, das erklärt die Geschichte des Spiels. Ohne zu viel zu verraten: In einer Welt, in der alles vom Schicksal bestimmt wird, seid ihr, von den Toten zurückgekehrt, der einzige, der kein Schicksal besitzt. Ihr seid vollkommen Herr über euer eigenes Schicksal und könnt die sogenannten Schicksalsfäden selbst weben und knüpfen. Somit stehen – logisch in die Story eingebettet – wilden Kombinationen unterschiedlichster Klassen keine Hindernisse im Weg. Ihr habt Probleme, einen dicken Höhlentroll im Nahkampf zu besiegen? Dann werft die Kriegerkarte weg und legt die Magierkarte an. Schon verändern sich die Möglichkeiten im Kampf und statt des dicken Kriegshammers bieten sich nun vielleicht die zuvor gefundenen, magischen Shakrams an…

Abhängig davon, welche Talente, welche Fähigkeiten und welche Waffen man bevorzugt, spielt sich im Prinzip jeder Charakter anders. Und das auf sehr erfrischende Weise für ein Hack&Slay (Pardon: Action-RPG!). Denn das wohl beste Feature des Spiels ist das geniale Kampfsystem!

Strategische Echtzeit-Kämpfe

Kurze Rückblende zum Anfang – dem vom Entwickler selbst verschuldeten Vergleich mit Skyrim und Co. Hand auf´s Herz! Skyrim ist und bleibt ein herausragendes Rollenspiel. Es ist beklemmend realistisch, düster, trist und gleichzeitig heroisch. Es zeichnet eine Welt, wie sie tatsächlich existiert haben könnte. Alles das ist KoAR definitiv nicht – im Gegenteil. Hier hat man es mit einer kunterbunten, oftmals cartoonartigen Grafik, z.T. drolligen Monstern und literweise Kunstblut zu tun (welches dem Titel im Übrigen auch das USK18-Logo spendiert hat). Und noch etwas unterscheidet Skyrim sehr deutlich von Kingdoms of Amalur – das Kampfsystem. Denn in diesem Punkt ist Skyrim… nun, sagen wir mal, verbesserungsbedürftig.

Ganz anders Kingdoms of Amalur: Reckoning! Hier wurde nicht gekleckert, hier wurde ordentlich geklotzt! Man stelle sich ein God of War gepaart mit dem strategischen Gehalt eines Final Fantasy vor – in einer offenen Welt, in der jeder Quadratmeter als Kampffläche genutzt werden darf. Man stelle sich ein Spiel vor, das flüssige Kombos, waffenabhängige Spezialangriffe, Zaubersprüche, Primär- und Sekundärwaffen (die vollkommen frei wählbar sind), klassen- und gegnerabhängige Specialmoves und zahlreiche Verteidigungsmöglichkeiten bietet. Dabei gehen einzelne Aktionen so flüssig und selbstverständlich von der Hand, dass man nach wenigen Stunden bereits im Schlaf zwischen den Waffen hin- und herschaltet, Zaubersprüche einstreut, Ausweichrollen mit anschließenden 360° Schlägen ausführt, einen Pfeil mit dem Schild blockt und dem Schützen diesen danach ins Gesicht rammt. Es ist eine wahre Freude, ein so gelungenes Kampfsystem in einer so komplexen Welt zu sehen! Wer das Kämpfen mit Spezialangriffen, die ähnlich wie in einem Beat’em’up auszuführen sind, gemeistert hat, wird im Übrigen häufig auf den „Schicksalsmodus“ zurückgreifen können. Jede gelungene Spezialaktion generiert nämlich ein klein wenig „Schicksal“, das in einer Leiste angezeigt wird. Ist diese voll, kann per Tastendruck in eine Art Slowmotion-Modus gewechselt werden, in der man sich selbst normal bewegen kann, in der aber alles andere in Zeitlupe abläuft. Gegner können hier regelrecht in Sekundenbruchteilen umgelegt werden – was durchaus wörtlich gemeint ist – denn der Schicksalsmodus ist idealerweise erst dann beendet, wenn alle Gegner am Boden liegen. Mit einem gewaltigen und immer sehr brutalen Finisher (Marke „Ich ramm Dir mein Schwert bis zum Anschlag ins Maul und schlitze Dich danach von innen heraus auf“) können dann sämtliche Gegner auf einen Schlag getötet werden, was zudem bis zu 100% mehr Erfahrungspunkte aufs Konto spült. Klasse! Lediglich der harte Kontrast zwischen den eher comichaft anmutenden Kreaturen und dem blutigen Gesplatter lässt den Spieler am Anfang doch erstaunt mit dem Kopf schütteln.

Von Zufallsitems, Handwerk, Alchemie und Edelsteinen

Dass KoAR fröhlich das Beste aus vielen Spielen gesaugt und in sich selbst vereint hat, dürfte bereits deutlich geworden sein. Ob es nun das geniale System aus Diablo der zufallsgenerierten Items ist (und hier wurde sogar ganz frech selbst der Farbcode der Items übernommen – von weiß über grün, blau, violett bis gold) oder das Kampfsystem eines God of War. Aber auch vor World of Warcraft macht KoAR nicht halt und klaut mal eben das Crafting-System! Nicht, ohne es jedoch deutlich zu erweitern…

So findet man beispielsweise im Laufe des Spiels Tonnen an Edelsteinen und Scherben. Diese können – je nach Talent – in einer der unzähligen Siedlungen oder Städte der Welt zu höherwertigeren Steinen zusammengesetzt und aufgewertet werden. Neu ist, dass man Splitter verschiedener Steine willkürlich mischen darf. So entstehen schnell Edelsteine mit Effekten, die von Lebensregeneration über Mana-Leech oder höherem Blutungsschaden bis hin zu höheren Schadens- oder Rüstungswerten reichen. Gleiches gilt im Übrigen auch für das Mischen von Tränken, die aus dutzenden Zutaten gemischt werden dürfen. Dabei entstehen des Öfteren sogar instabile Tränke mit sehr zufälligen Effekten.

Wer zudem eigene Waffen und Rüstungen herstellen möchte, darf dies ebenfalls tun – und auch hier ist das System sehr komplex und ausgetüftelt. Denn in KoAR wird nicht einfach ein Stahlbarren in ein Schwert „verwandelt“ – dafür bedarf es tatsächlich einzelner Waffenteile. Diese erhält man aber nur, wenn man zuvor gefundene Ausrüstung zerlegt und deren Einzelteile aufbewahrt. Je höher dabei die Qualität der Ausrüstung, desto seltener die Teile. So steht man des Öfteren vor der Wahl, ob man den epischen Zauberstab, den man soeben aus einer Kiste gefischt hat, für teuer Gold verkaufen oder lieber zerlegen und neu verbasteln soll…

Spannend – fantasievoll – kreativ

So könnte man KoAR wohl in drei Worten zusammenfassen. Dass die Grafik nicht zu 100% dem Stand der Technik entspricht und manche Charaktermodelle etwas zu grob geraten wirken, dass unsichtbare Barrieren absolut „out“ sind, dass die deutsche Synchronisierung in seltenen Fällen fehlbesetzt wurde… all das fällt einem tatsächlich nur in der ersten Stunde Spielzeit auf. Ganz im Ernst – als ich KoAR zum ersten Mal gespielt habe, dachte ich bei mir „Oh je, wieder 0815 Durchschnitts-Trash“… und hätte nach dem Tutorial maximal eine 70% Wertung vermutet. Dass mich das Spiel aber so fesseln und motivieren sollte, konnte ich da noch gar nicht ahnen. Herausgekommen ist ein verdienter Gold-Award und eine uneingeschränkte Kaufempfehlung für alle Hack&Slay/Action-RPG Fans! Hätte dieses Spiel noch einen Multiplayermodus inkl. kooperativem Spiel und der Möglichkeit, Teile zu tauschen, würde ich es vermutlich auch in einem Jahr noch spielen.