Retro ist in. Wohin man sieht, überall sprießen Wiederveröffentlichungen, Remakes und Remasters aus der fruchtbaren Erde. Gleiches gilt für Spielkonzepte aus altvorderer Zeit, in der Spiele wie The Bard’s Tale noch „gnadenlos“ und „fordernd“ waren. Und sie treffen einen Nerv und auf eine erstaunlich breite Käuferschicht. Darunter sind sicher viele Spieleveteranen, die die magischen Momente ihrer Kindheit und Jugend an Konsole oder Heimcomputer wieder heraufbeschwören möchten.
Aber, seien wir mal ehrlich: natürlich auch, um sich wieder ein klein wenig elitär fühlen und mit milder Verachtung auf die neue Generation der „verweichlichten“ und „verhätschelten“ Junggamer herabblicken zu können.
Früher Freak…
Denn damals, in den 80ern und 90ern des letzten Jahrhunderts, da waren Computerspiele noch lange nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Den „Nerd“ umwehte damals nicht der leiseste Hauch von Coolness. Eine erfolgreiche Serie mit Nerds in der Hauptrolle wie Big Bang Theory? Undenkbar.
Im besten Fall wurden die Computerspezialisten dem breiten Publikum als schmächtiges, bebrilltes Anhängsel der Haudraufs wie in Trio mit vier Fäusten dargeboten.
Schaffte es dann doch mal ein Hacker als Hauptfigur auf die Leinwand wie in War Games (1983), dürfte dieser Film beim größten Teil des damals noch größtenteils uncomputerisierten Publikums eher zu Misstrauen gegenüber der Angelegenheit „Computer im Kinderzimmer“ geführt haben.
Was, wenn wirklich mal einer dieser kleinen Computerfreaks zu Hause den falschen Knopf drückt und im Anschluss die Welt im atomaren Feuer verpufft?
Tja. Die selbsternannten „coolen Kids“ damals, die saßen nicht den ganzen Tag vor diesen seltsamen Kisten und drückten graue Knöpfe. Nein, die trainierten natürlich ihre Waden auf dem Bolzplatz oder beim Basketball und schüttelten über die blassen Spinner am Rande des echten Lebens den Kopf. Wenn sie sie denn überhaupt bemerkten.
Was blieb also dem Computerspiele-Fan von damals, wenn einen die anderen im besten Fall als langweilig und im schlechtesten Fall als verrückten Sonderling empfanden? Richtig: Subkulturelles Elite-Denken entwickeln und natürlich weiterer Eskapismus – in Form von noch mehr Computerspielen, Fantasy-Büchern und Science-Fiction-Filmen.
… heute Mainstream
Für die Millennials, die heute quer durch alle Schichten zocken und auf dem Fußballplatz Fortnite-Tänze aufführen dürfen ohne komisch beäugt zu werden, klingt das natürlich absurd.
Und darauf sind wir alten Recken vielleicht dann doch ein bisschen neidisch. Und dann sticheln wir gegen die Jungspunde mit Sprüchen wie „Pah, du hältst dich für hart, weil dich Dark Souls nicht zum Heulen gebracht hat? Wir hatten ja damals ‚Ghosts ’n Goblins‚…“, schwadronieren von den goldenen Zeiten, in denen es nicht nur auf die Grafik ankam und überhaupt, irgendwie war ja alles besser.
Aber war damals wirklich alles besser? Schnappen wir uns doch ein paar der jungen Hüpfer, packen sie in die Zeitmaschine und bringen sie in eine andere Zeit, an einen anderen Ort…
Zurück in die Vergangangenheit: The Bard’s Tale
… und hier sind wir nun: In der Abenteurergilde in Skara Brae. Es handelt sich natürlich um das Skara Brae aus The Bard’s Tale I, einem jener legendären Spiele aus den Achtzigern, als noch alle möglichen Firmen versuchten, mit ihren Computersystemen den Markt der Heimanwender zu erobern. Genauer gesagt, wir schreiben das Jahr 1985, und Electronic Arts bringt das von Interplay, namentlich Michael Cranford, entwickelte Rollenspiel für alle damals gängigen Systeme wie MS-DOS, Apple II, Commodore 64, Atari ST, Amstrad/Schneider CPC und Amiga auf den Markt.
Das Spiel wurde ein riesiger Erfolg. Denn es bot für damalige Verhältnisse nicht nur bildschöne Grafiken (vor allem auf Amiga und Atari ST), sondern es galt seinerzeit auch als komfortabel und leicht zugänglich. Und das war es auch. Zumindest, wenn man es mit seinem direkten Vorbild Wizardry vergleicht. Nach heutigen Maßstäben… naja. Aber dazu kommen wir noch.
Die 80er: Zombies und Ninjas
Worum geht es? Zunächst haben wir da ein einigermaßen klassisches Fantasy-Setting mit Menschen, Elfen, Zwergen und auch Hobbits, so dass sich jeder, der schon einmal mit Dungeons & Dragons oder Tolkien in Kontakt kam, angenehm aufgehoben fühlt. Garniert wird das Ganze auf Seiten der anzutreffenden Feinde neben den üblichen Verdächtigen wie Barbaren, Trollen und Drachen noch mit Samurais und den in den Achtzigern unvermeidlichen Ninjas und Zombies, gegen die man seine sechsköpfige Party, bestehend aus Nahkämpfern und Magiern im Laufe des Abenteuers ins Feld führt.
Und gekämpft wird natürlich jede Menge, irgendwo müssen die Erfahrungspunkte für den Levelaufstieg ja herkommen. Und jeder Level wird dringend gebraucht, schließlich muss die Stadt ja von den Monsterhorden in den Straßen und diversen Dungeons gesäubert und am Ende vom bösen Zauberer Mangar befreit werden. Dieser hat Skara Brae nämlich mit einem mächtigen Zauber in einem ewigen Wintersturm vom Rest der Welt abgeschnitten und sitzt seitdem kichernd in seinem Turm.
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Wozu das Ganze gut sein sollte, das weiß wohl nur er selbst. Viel geboten ist in der Stadt nämlich eigentlich nicht: Außer einer Handvoll Kneipen, einem einzigen Waffenhändler, dem Manapunkte-Händler, der Abenteurergilde und dem sogenannten Review-Board gibt es da nicht viel zu sehen. Außer vielleicht, man interessiert sich für alte Kirchen und ähnliche Stätten, denn der Hauptplatz in der Mitte der Stadt ist gesäumt von gefühlten hundert Tempeln.
Nun ist es aber zunächst mal an der Zeit, uns um unsere frisch in der Abenteurergilde Skara Braes aus dem Damals eingetroffenen Abenteurer aus dem Jetzt zu kümmern…
It’s a man’s world
“So, ihr jungen Hüpfer. Ruhe da hinten! Habt ihr die paar Schritte von der Zeitmaschine bis hierher gut überstanden, oder haben euch unterwegs 99 Berserker erwischt? Ja, kann schon mal passieren. Unsichere Straßen heutzutage. Ihr wisst, was ihr zu tun habt? Ich fasse das nochmal kurz zusammen: raus gehen, Monster vermöbeln, Dungeons crawlen, Mangar plätten, fertig. Wie, warum wir alten Säcke das in all den Jahrzehnten noch nicht geschafft haben?
Klar haben wir das! Ändert nur nichts. Warum dann das alles? Weil es euer JOB ist, verdammt nochmal. Das muss als Ansporn ja wohl reichen, Jungs! Ja, JUNGS hab ich gesagt! Frauen gehören nicht in die Heldengruppe, da müsst ihr euch noch ein, zwei Fortsetzungen lang gedulden.
So, los jetzt. Ein paar von euch können ja für den Rest Ausrüstung besorgen, wir sollten euch ja nicht gleich alle auf einmal riskieren, nicht wahr… Waffen und Rüstungen bekommt ihr bei Garth. Da müsst ihr euch draußen vor der Tür nach links drehen, dann drei Schritte geradeaus nach Norden und wieder rechts drehen. Wenn ihr Pech habt, erwischen euch unterwegs schon ein paar Monster, das war’s dann vielleicht schon. Nein, die seht ihr nicht kommen. Die tippen euch dann überraschend von hinten auf die Schulter.
‚Automap‘? Wie bitte? Hier, Bleistift, Radiergummi, Karopapier. Hier wird die Karte noch selbst gezeichnet: Schritt für Schritt, feld für Feld. Und die Stadt ist ja noch harmlos… in den Dungeons sieht alles gleich aus – und da gibt es Felder, die euch drehen, teleportieren oder das Licht ausmachen. Hehe. Und immer dran denken: Spart euch ein paar Hitpoints auf, der Weg zurück in die Gilde ist weit.
Quickload? Wie bitte? Nein, gespeichert wird nur hier in der Gilde! Geschlafen übrigens auch, aber denkt nur nicht, dass würde eure Lebenspunkte wieder auffrischen. Geheilt wird nur per Magie oder in den Tempeln, aber das könnt ihr Frischlinge euch noch gar nicht leisten. Na dann, viel Spaß!”
The Bard’s Tale im Wandel der Zeit
Ja, so waren die Zeiten damals. Aber war damals tatsächlich auch alles besser? Jein. Für heutige Verhältnisse simple Spiele wie die ersten drei Bard’s Tales (oder Tales of the Unknown, wie die Reihe eigentlich heißen sollte) waren trotz magerer Stories und gnadenloser Quälerei faszinierend und wahnsinnig spaßig. Aber der rosaroten Retro-Brille zum Trotz: Würde man das so heute noch spielen wollen?
Wohl eher nicht. Besonders gut konnte man das an InXile Entertainments Remaster der ersten drei Teile in dem Paket The Bard’s Tale Trilogy sehen, das die richtigen Schrauben gedreht hat, um dem Ganzen seinen alten Charme, auch von grafischer Seite, zu belassen und es dennoch auch für heutige Maßstäbe spielbar zu machen: Jetzt gibt es Automapping, es darf überall und jederzeit gespeichert und geladen werden und man kann nun schon ab dem ersten Teil endlich auch Heldinnen in die Schlacht führen.
Ein Musterbeispiel auch für das gelungene Remastern alter Klassiker. Um so bedauerlicher, dass genau dies beim Klassiker Wasteland unter dem Namen Wasteland remastered aus dem gleichen Hause dann irgendwie nicht recht geklappt hat.
Sehen wir also mit Recht auf die “verhätschelten jungen Hüpfer” herab? Ein bisschen vielleicht.
Aber wenn wir ehrlich sind: Hätten wir damals die Wahl gehabt – wir hätten uns doch auch für mehr Komfort, weniger sinnlose und unfaire Quälerei und Gleichberechtigung der Geschlechter bei der Charaktererstellung entschieden, nicht wahr?
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