Millenia – Test/Review

    Die Schatten werden länger, während die Flammen des Lagerfeuers langsam kleiner werden. Ein paar Männer kehren von der Jagd zurück. Sie tragen zwei Säbelzahnkaninchen an primitiven Lederschnüren auf ihrem Rücken. Ein guter Tag für den Stamm. Bald ist die neue Lehmhütte für den Ältestenrat (30+) fertiggestellt. Dies könnte der Beginn einer neuen Zivilisation sein.
    Was klingt wie das Intro zu einer Arte-Steinzeitmenschen-Doku, ist in diesem Fall die Ausgangslage für das frisch auf den Markt geworfene 4X-Spiel Millenia von C Prompt Games.

    Millenia entführt uns in eine alternative Welt, in der wir unser Volk von den ersten Entwicklungen der Steinzeit, bis hin in eine mögliche nahe Zukunft führen können. Vorausgesetzt unsere Entscheidungen fruchten und unser Volk überlebt. Denn es gibt genug Konkurrenten um Land, Ressourcen und Macht.

    Wie sich Millenia gegen die Genrekonkurrenz Civilization und Old World schlägt, beleuchten wir in diesem Test.

    Aller Anfang ist schwer

    Wir beginnen das Spiel, wie beinahe schon genreüblich, mit einer kleinen Siedlung und einfachen Kampfeinheiten. Diese können wir dann Züge weise über die noch unerkundete Karte scheuchen, um neue Weidegründe, wertvolle Ressourcen, oder mögliche Gegner zu entdecken.

    Parallel dazu können wir in unserer Hauptstadt mithilfe von Produktionspunkten, die unsere Bürger im Umland erwirtschaften, Gebäude oder Einheiten bauen. Schon relativ früh stellt sich die Frage, wie wir uns am besten entwickeln wollen. Neue Kampfeinheiten könnten mich gegen Barbaren absichern und womöglich nahe Kleinzivilisationen schon früh erobern. Setze ich hingegen früh auf Gebäude, die meinen Ressourcen-Output erhöhen, würde meine Stadt schneller wachsen. Dies könnte langfristig gesehen die bessere Entscheidung sein.

    Neben den taktischen Entscheidungen auf der Weltkarte, wollen meine Weisesten außerdem noch wissen, an welcher neuen Technologie sie forschen sollen. Erneut stehe ich vor der Wahl, ob wohl Ackerbau, oder Bogenschützen mich in den nächsten Runden besser unterstützen würden.

    Und womöglich liegt da eine hilfreiche Ressource direkt außerhalb meiner Stadtgrenzen. Es könnte also auch sinnvoll sein, ein Gebäude zu bauen, welches meinen Einfluss auf das Umland vergrößert. Denn so würden Hexfelder nahe meiner Siedlungen nach einigen Zügen teil meines Territoriums werden, die meine Arbeiter somit ausbeuten dürften.

    Wem das alles schon bekannt vorkommt, dem sei diese Annahme bestätigt. Die ersten Züge von Millenia fühlen sich in der Tat so an, als würde man Civilization 5 spielen. Auch grafisch ist Millenia erst einmal kein Sprung nach vorne.

    Der Teufel liegt im Detail

    Wer nun aber denkt, dass Millenia nichts Neues zu bieten hat, könnte ferner nicht liegen. Denn die neuen Spielmechaniken entfalten sich erst nach und nach im Spiel, nachdem man bestimmte neue Zivilisationsschritte freigeschaltet hat.

    So gibt es neben der Ressource Kultur, die ähnlich wie in Civilization funktioniert, zu Anfang auch noch die Ressourcen Regierung, Erkundung und Kriegsführung. Punkte für Regierung erhält man schlicht, indem man Regierungsgebäude baut. Bei der Kriegsführung sind es stattdessen geführte Schlachten. Für die Erkundung wiederum helfen Wachtürme, sowie Erkundungsaktionen unserer Spähereinheiten.

    Hat man eine gewisse Punktzahl dieser sogenannten Domänen-Ressourcen gesammelt, kann man diese für eine Aktion ausgeben, die einem sofort einen kleinen Vorteil bringt.

    Meine Erkundungspunkte können mir zum Beispiel einen Späher spawnen lassen, oder ein noch freies Gebiet beanspruchen. Meine Kriegsführungspunkte kann ich ausgeben, um eine Armee sofort zu heilen, oder eine aktuelle Nahkampfeinheit in einer meiner Städte erscheinen zu lassen. Praktisch, falls sich unangekündigter Besuch nähert. Über die Regierungspunkte wiederum kann ich einen Siedler bauen, oder eine Revolution starten, um eine neue Regierungsform zu erreichen.

    Leider wird es hier aber noch komplexer: Je nachdem welche Regierungsform ich aktuell gewählt habe, benötigt diese Regierungsform ebenfalls Punkte aus der jeweiligen Domäne, um permanente Regierungsverbesserungen freizuschalten.

    Die Regierungsform Kaiserdynastie benötigt klassisch Regierungspunkte für neue Boni. Die Olympioniken benötigen Diplomatie und die Kreuzzügler benötigen Kriegskunst. Das heißt, dass man ständig abwägen muss, ob man die Punkte für kurzfristige Vorteile ausgibt, für Regierungsverbesserungen anspart, oder einfach für Notfälle auf der hohen Kante hält.

    Expansion für Fortgeschrittene

    Auch die Ausdehnung unseres Reiches ist nicht so simpel, wie man es von anderen 4X-Spielen gewohnt ist. Es ist nicht damit getan, einen Siedler auf ein passendes Feld zu navigieren und dort eine Stadt zu gründen. Besagter Siedler gründet zwar eine Stadt, diese ist allerdings erst einmal ein halbfreier Vasall, den wir nicht selbst steuern können. Diese frische Stadt wird nun zuerst langsam 20 Integrationspunkte sammeln. Ist dieser Prozess abgeschlossen, können wir die Stadt für die Ausgabe von Regierungspunkten ins Reich holen, um dann die volle Kontrolle zu auszuüben.

    Jede Stadt hat dabei eine eigene Region, in der sie Ressourcen und Umland nutzen darf. Später können in besagter Region dann auch noch kleine Städte gegründet werden, die bestimmte Ressourcen boosten. Somit kann eine Region im fortgeschrittenen Spiel aus einer Regionshauptstadt, sowie mehreren kleinen Städten bestehen. Dazu gehören dann auch noch diverse Geländerverbesserungen, die unseren Ressoucenoutput erhöhen.

    Die Ressourcen, welche eine Stadt produzieren kann, übersteigen dabei die Komplexität anderer 4X-Spiele, da hier ganze Ressourcenketten erstellt werden können.

    So kann ein Bauernhof etwa Weizen produzieren, den ich wiederum von einer Mühle zu Mehl mahlen lassen kann, um dann von einem Bäcker in Brot verwandelt zu werden. Ein hergestelltes Brot ergibt dabei viel mehr Nahrung, als der zugrunde liegende Weizen.

    Ähnlich verhält es sich mit Holzfällerlagern im Wald, die ich mit Sägewerken deutlich verbessern kann.

    Jedes Feld für Verbesserungen benötigt dabei eine Arbeitskraft. Manche Verbesserungen machen also erst Sinn, wenn meine Stadt/Region eine gewisse Größe erreicht hat.

    Die Feldverbesserungen werden übrigens nicht von einer Pionier-Einheit gebaut, sondern benötigen eine weitere Ressource: Verbesserungspunkte. Diese können wir dann für eine Sofortverbesserung eines gewählten Hexfeldes ausgeben, sobald genügend davon angesammelt sind.

    Alternative Geschichte für Fortgeschrittene

    Neben dem ständigen Jonglieren von Ressourcen und Aktionen, werden dem Spieler noch weitere Entscheidungen abverlangt.

    So gibt es, wenn eine Handvoll Forschungsfortschritte erzielt wurden, immer wieder die Möglichkeit in eine neue Epoche vorzustoßen. Beginnt der Spieler anfangs noch in der Steinzeit, folgt die Bronzezeit mit neuen möglichen Erfindungen. Bei jedem Epochenwechsel entsteht dann ein kleines Wettrennen, zwischen den rivalisierenden Zivilisationen, denn derjenige, der die Epoche als erstes erreicht, erhält kleine Vorteile gegenüber den anderen.

    Nicht nur darf dieser Spieler dann zuerst seine bevorzugte neue nationale Ausrichtung wählen. In einigen Epochen darf er dann sogar bestimmen, was für eine Folge-Epoche nun eintreten soll. Es ist nämlich keineswegs festgelegt, dass nach dem Bronzezeitalter das Eisenzeitalter eintritt. Es ist auch möglich, dass das Zeitalter der Helden stattdessen eintritt.

     

    Diese alternativen Zeitalter verändern dann gewisse Spielmechaniken und geben für alle anderen Spieler vor, wie Sie Ihre Spielmechaniken für dieses Zeitalter nun anpassen müssen.

    Das Zeitalter der Seuchen zum Beispiel bringt wiederkehrende Krankheitsausbrüche mit sich, die man mit guter Hygiene, Pestdoktoren und Reinigung von Verbesserungen bekämpfen sollte.

    Die nationale Ausrichtung hingegen bestimmt, auf welche Weise ich mein Reich ausdehnen möchte. So gibt es Regierungsformen, die mir Boni auf aggressive Spielmechaniken geben. Andere fördern das Vasallentum, oder den Output meiner Hauptstadt. Wieder andere können auf Religion aufbauen und andere Nationen über den Glauben beeinflussen.

    Komme ich erst verspätet in einer Folge-Epoche an, bleiben mir womöglich nur noch Ausrichtungen zur Auswahl übrig, die gar nicht so recht zu meiner angepeilten Spielweise passen wollen.

    Fair hingegen ist eine Aufholmechanik bei der Forschung. Für jede Nation, die eine bestimmte Forschung bereits freigeschaltet hat, verringert sich der Forschungsaufwand für nachfolgende Nationen um 10%. So gerät man auch als Nachzügler nicht allzu stark ins Hintertreffen.

    Einmal GUI-light, bitte!

    Wer sich von der Komplexität von Millenia nicht abschrecken lässt, muss zumindest ein paar Abstriche bei der Präsentation machen. Denn Millenia präsentiert sich leider eher schlicht.

    Die Menüs und Ressourcenübersicht sind gemessen an den vielen darzustellenden Informationen zwar noch gelungen, aber Eye-Candy gibts hier nur für Diabetiker.

    So ist die Weltkarte kaum von einem Civilization 5 zu unterscheiden, die Einheitenmodelle sind schlicht und kaum animiert und Nationen bleiben ohne jeglichen Avatar als Repräsentant irgendwie grau und charakterlos.

    Das macht Millenia mitnichten schlecht und die einfach gehaltene Grafik kann sogar dabei helfen, in stark bebauten Gegenden die Übersicht zu behalten. Allerdings wirkt das Spiel dadurch auch etwas aus der Zeit gefallen.

    Auch fehlten mir diverse Info-Grafiken, die Genrekonkurrenten mittlerweile standardmäßig in Ihren Spielen integriert haben. So hätte mich eine Demografieübersicht und vor allem der Vergleich zu meinen Konkurrenten brennend interessiert.

    Wer hat denn grad den höchsten Bildungsgrad, das größte Heer, die meisten Einwohner und die vollste Schatzkammer? Ein Vergleichswert, wie potenziell machtvoll mein Konkurrent direkt vor meinen Regionsgrenzen ist, wäre mir schon Gold wert.

    Auch entsprechende Graphen, wer sich wie entwickelt hat, sind für anspruchsvolle Spieler sicherlich spannend. Und da Millenia ohne Frage eher für Spieler mit hohem taktischem Anspruch entwickelt wurde, fragt man sich, warum solche Features komplett weg gelassen wurden.

    Immerhin: Millenia bringt ein vollständiges Ingame-Wiki mit, dass über jegliche Verbesserung, Regierungsform, Einheit etc. Auskunft gibt.

    Fazit

    Trotz der eher schlichten grafischen Präsentation macht Millenia Spaß, sofern man bereit ist, die nötige Zeit in das Spiel zu investieren, um alle neuen Spielmechaniken zu verinnerlichen.

    Denn Millenia ist komplex und setzt mit den Ressourcenketten und den vielen neuen Domänenressourcen nicht nur eine, sondern eher drei Schippen auf das altbekannte Civilization-Prinzip obendrauf.

    Spieler, die sich von derart vielen Möglichkeiten und neuen Ressourcen überfordert fühlen, sollten die Finger von Millenia lassen. Gerade Einsteigern gegenüber könnte Millenia vorkommen, wie für Menschen mit Inselbegabung geschaffen.

    Für 4X-Veteranen, denen die immerselbe Kost inzwischen zu langweilig geworden ist, könnte Millenia hingegen ein Träumchen sein. Denn ist man einmal ins Spiel eingetaucht und hat ein Gefühl für die neuen Mechaniken entwickelt, erschließen sich einem mit jeder neuen Runde neue Möglichkeiten Millenia zu spielen. Und dass keine Runde wie die vorige wird, ist auch den kreativen neuen Zeitaltern zu verdanken.

    Wenn das Ziel von C Prompt Games also war, ein neues Suchtpotential für 4X-Veteranen auf die Welt loszulassen, dann ist dies mit Millenia absolut gelungen.

    MS-DOS-Veteran und Pixel-Nostalgiker. Windows hat nur einzug gehalten, damit Diablo gespielt werden konnte. Aufbauspieler und selber Bastler. Katzen-von-der-Tastatur-schieber. Warnung vor Tieffliegenden Wortspielen ist hiermit ausgegeben!