Tapestry – Test

    Qualität und Quantität

    Die Qualität der Komponenten vermittelt, dass es sich bei Tapestry um ein Premium-Produkt handelt. Anfänglich wirkt die Pappe der Spielmatten etwas dünn, aber es handelt sich um hochwertiges Material und hält normaler Nutzung ohne Schäden stand. Auch die Karten und Landfelder sehen nach mehrfachem Mischen noch wie neu aus.

    Mitte des Spiels. Die Craftsmen bauen statt einer florierenden Hauptstadt lieber ein Weltwunder, weshalb auch ihre Gebäude auf ihrer Zivilisationsmatte stehen.

    Die Illustrationen sind qualitativ hochwertig, durchdacht und halten einen erkennbaren Stil. Auch die Symbole sind klar und verständlich – wenn wir auch ein paar Dinge zur Sicherheit nachgesehen haben, waren unsere Annahmen immer richtig. Dennoch ist das Spiel nicht komplett sprachunabhängig, da die Tapestry-Karten ihre Wirkung über geschriebenen Text erklären.

    Architektonische Meisterleistung

    Die absoluten Blickfänger des Spiels sind die Landmarks und Einkommensgebäude. Während Letztere in Form kleiner Hütten ihren Bonus verdecken, welcher durch den Bau der Gebäuse freigelegt wird, sind Landmarks große Gebäude, die durch Fortschritt auf den Tracks oder der Entwicklung gewisser Technologien gebaut werden, und viel Platz einnehmen. Das macht sie wertvoll – eine volle Hauptstadt führt zu mehr Siegpunkten. Die Gebäude bestehen aus massivem Plastik und sind in guter Tabletop-Qualität bemalt, so dass auch ohne Modellbautalent eine beeindruckende Siedlung entstehen kann.

    Landmarks und Gebäude, die durch Technologien entwickelt werden.

    Failure to Communicate

    Mit dem Untertitel „A Civilization Game“ deutet das Spiel allerdings Mechaniken an, die nicht vorkommen. Von einem Zivilisationsspiel erwarten wir zumindest einen guten Teil der 4X – Tapestry fühlt sich weniger wie der Aufbau einer Zivilisation an, eher wie die Lösung eine Optimierungsproblems. Uns erschließt sich auch nicht, nach welcher Logik Technologien und Advancements benannt sind – zum Beispiel sind Impfmittel und Lithium-Ionen-Zellen Technologien, Plastik und Schießpulver aber Advancements. Die Zuteilung wirkt komplett zufällig, und auch die chronologische Unabhängigkeit führt teilweise zu kuriosen Situationen – wie genau haben wir jetzt aufgrund unseres Durchbruchs in der Kunst des Töpferns die Technologie des Zeitreisens entwickelt?

    Kämpfe und Kulturschock

    Auch die Spielerinteraktion ist übersichtlich, was noch dadurch verschlimmert wird, dass sie relativ zufällig ist. Haben wir zufällig eine Fallenkarte auf der Hand, können wir einen militärischen Angriff zurückschlagen – ansonsten halt nicht. Da es sich dabei um eine Tapestrykarte handelt, können wir uns nie wirklich auf eine Militäroffensive vorbereiten – gleichzeitig können wir noch so übermächtig auf dem Militätrack sein, eine einzelne Karte stoppt unseren Vormarsch, denn jedes Gebiet darf nur ein mal umkämpft werden. Wenn unser Angriff fehlschlägt, ist unsere ganze Mobilisierung in diese Richtung vorbei, denn wir werden nie das verteidigte Gebiet durchqueren können. Gleichzeitig ist es auch unmöglich, ein verlorenes Gebiet zurückzuerobern.

    Relativ frühe Ausbreitung. Blau ist leicht aggressiver als Rot, aber ohne Landbrücke wenig gefährlich.

    Die Tapestrykarten selbst sind zudem äusserst weit gefächert, was Nutzen angeht. Da stehen etwa Dystopie (nimm ein beliebiges Landmark) und Renaissance (ziehe auf jedem Track ein Feld weiter) Karten wie Coal Baron (erhalte ein Landfeld und platziere es; unsere Nachbarn erhalten ebenfalls ein Landfeld) oder Diplomacy (jeder erhält eine Resource, wir erhalten zusätzlich ein Gebäude) gegenüber. Ähnliches gilt für Landfelder: Es gibt wenig Umstände, in denen wir eine Resource einem Gebäude – welches Resourcen generiert – vorziehen würden.

    Dsa Radio ist eine mächtige Technologie: Bei voller Entwicklung erlaubt es, eine zusätzliche Zivilisation mit all ihren Vorteilen ins Spiel zu bringen.

    Weitreichende Entscheidungen

    Diese Unausgeglichenheit ist aber auch Teil des Charmes. Der Zufall bringt hier Spannung in das Spiel, das ansonsten relativ klar einen „lösbar besten“ Pfad durch die Tracks bieten würde. Die relevantesten Teile eines Spiels sind die Entscheidungen, die die Spieler treffen, und Tapestry besteht fast ausschliesslich aus wichtigen Entscheidungen. Welchen Track verfolgen wir weiter? Wo bauen wir unser Gebäude? Was ist unsere Strategie für das nächste Zeitalter? Und selbst, wenn unsere Strategie nicht funktioniert oder wir Pech mit den Karten haben: Bei ca 30 Minuten pro geübtem Spieler sitzen wir nicht lange in einer aussichtlosen Situation fest.

    Praktisch: In der Hauptstadt der Entertainer schließt der Hauptbahnhof die Vorstadt anscheinend direkt an die Gummifabrik und den Leuchtturm an.

    Fazit

    Wer ein „civilization game“ erwartet, der mag enttäuscht werden: Tapestry spielt sich eher abstrakt und gibt nicht wirklich das Gefühl, eine Zivilisation durch die Zeitalter der Welt zu führen. Dennoch: Wer sich auf das einlässt, was Tapestry zu bieten hat, findet ein Strategiespiel, das leicht zu erlernen und schwer zu meistern ist. Durch die große Auswahl an Zivilisationen bietet es einiges an Abwechslung und ruft zur Entwicklung neuer Taktiken auf. Mit zwei Spielern dauert eine Runde etwa eine Stunde, und wer keinen Mitspieler zur Hand hat, kann sich am Solomodus versuchen. Die Miniaturen und Qualitätskomponenten haben allerdings auch ihren Preis: Rund 100€ kostet die englische Version bei Stonemaier Games. Gegen Mitte des Jahres soll die deutsche Version über Feuerland Spiele in den Handel kommen.

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    Ich habe Ende der 80er mit meinem Amiga angefangen und seitdem haben Videospiele einen permanenten Platz in meinem Herzen. Ich mag alles, was Leute zum spielen zusammenbringt, sei es analog oder digital. Seit Ende 2018 schreibe ich für Game2gether.de und konzentriere mich auf Retro- und Koopspiele.