Marzi – Ein Mädchen erlebt das Ende des Eisernen Vorhangs

20 Jahre nach dem Fall der Mauer erzählt Marzena Sowa von ihrem Leben in Polen zu Zeiten des Zusammenbruchs des kommunistischen Systems. In Zusammenarbeit mit ihrem Lebenspartner, dem französischen Zeichner Sylvain Savoia, entstand die Graphic Novel Marzi. Nun erscheint der Band, der für den diesjährigen Eisner Award als „Best Reality-Based Work“ nominiert ist, auch in Deutschland und Autorin und Zeichner kommen als Gäste des Panini Verlags zum Comic Salon Erlangen.

Marzi schildert die Ereignisse jener Jahre bis zum Fall des Eisernen Vorhangs aus dem unschuldigen Blickwinkel eines Kindes und gibt dabei Einblicke in eine Welt, die heute sogar jenen fremd erscheint, die ihren Untergang miterlebt haben. Aufgewachsen im polnischen Stalowa, erlebt Marzena Sowa eine Kindheit zwischen unbefangenen Sommertagen und langen Schlangen vor Lebensmittelgeschäften. Der Vater arbeitet in einer Fabrik, die Mutter in einem Milchladen. Die sozialen Spannungen nehmen zu, die leeren Regale im Supermarkt sind ihr tägliches Brot. Das Kind Marzi selbst fürchtet sich allerdings viel mehr vor Spinnen, erkennt aber dennoch, dass auch die Welt der Erwachsenen in dieser Zeit kein Zuckerschlecken ist.

„Ganz egal, wie der wirtschaftliche, politische oder soziale Hintergrund gewesen sein mag“, schreibt Sylvain Savoia, „es gibt immer etwas Charakteristisches in jenem Abschnitt unseres Lebens, das wir ganz schrecklich vermissen, wenn wir erst einmal groß sind.“ Entstanden sei die Idee der Graphic Novel, als Marzena Sowa ihm einmal erzählte, dass in Polen kurz vor Weihnachten lebendige Karpfen gekauft und in der Badewanne gehalten werden, bis sie dann für das Festmahl gekocht werden. Die Vorstellung all dieser Wohnungen und in jeder davon eine Badewanne mit Karpfen, löste in ihm den Drang aus, das zu zeichnen. Ausgehend von den Kindheitserinnerungen seiner Lebensgefährtin, die sie mit unglaublicher Leichtigkeit und Esprit wiedergibt, entstand so eine Graphic Novel, die witzig und vielschichtig zugleich ist, dabei aber auf enzyklopädisches Wissen verzichtet und einen neuen Blick auf die Zeit der frühen 1980er in Polen ermöglicht. Episodenhaft wird Marzis Alltag beschrieben, vom Besuch einer Tante aus Frankreich erzählt und vom Pilzesuchen im Wald, wenn die Erwachsenen darüber grübeln, ob die Pilze durch Tschernobyl noch radioaktiv verseucht sind, aber auch wie das Kind stundenlang ansteht, um am Ende doch keine frische Orangen im Laden zu bekommen.

„Ich habe Literaturwissenschaften studiert und immer vom Schreiben geträumt, aber ich hätte nie gedacht, dass ich eines Tages Autorin einer Graphic Novel werden würde“, sagt Marzena Sowa über ihren Werdegang. Ihr Studium begann sie in Krakau, schloss es aber in Frankreich ab. Seit Jahren pendelt sie zwischen Frankreich und Brüssel, wo sie mittlerweile lebt. Erst der geographische Abstand zu ihrer Heimat ermöglichte ihr diese Neubetrachtung der eigenen Vergangenheit. Ähnlich wie die ebenfalls bei Panini erschienene Graphic Novel Israel verstehen – in 60 Tagen oder weniger von Sarah Glidden, gibt auch Marzi einen Einblick in eine Zeit und ein Land, das von Umbrüchen geprägt ist und schildert das Geschehen ohne politische Einfärbungen. Die einfühlsamen Zeichnungen von Sylvain Savoia werden sowohl dem kindlichen Aspekt der Erzählung als auch der Dramatik des Geschehens gerecht. Die Graphic Novel wurde jüngst für den Comic-„Oscar“, den Eisner Award, der im Juli bei der San Diego Comic Con vergeben wird, in der Kategorie „Best Reality-Based Work“ nominiert.

pm