Interview: Tom Hanks über seine Hauptrolle als Walt Disney in Saving Mr. Banks

Im Gespräch über seine Rolle als legendärer Filmvisionär Walt Disney in SAVING MR. BANKS kommt der zweimalige Oscar-Gewinner Tom Hanks schnell darauf zu sprechen, dass er dem Vorbild weder ähnlich sehe, noch so klinge wie er – vielmehr sei seine Herangehensweise an die Darstellung von Walt Disney eine gänzlich andere. „Natürlich kann ich mir einen Schnauzer wachsen lassen und die Haare scheiteln. Doch die Herausforderung bestand darin, diesen Witz in seinen Augen und seinen Geschäftssinn irgendwie einzufangen“, verdeutlicht Hanks. Man kann Walt Disney nicht imitieren. Sein Tonfall spiegelte immer die Begeisterung wider für das, was in seinem Kopf vorging. Sei Geist sprudelte geradezu vor fantastischen Ideen und er konnte einfach nicht anders, als sein Umfeld mit seiner Begeisterung anzustecken. Und genau darum ging es mir.“

Als Vorbereitung auf seine Rolle reiste Hanks zum Walt Disney Family Museum nach San Francisco und verbrachte dort einen ganzen Tag. „Ich habe mir dort jede einzelne verfügbare Tonaufnahme angehört und jeden Filmschnipsel gesehen, der Disneys Geschichte behandelt“, erinnert sich Hanks. „Man sieht, wie er seine Arbeitsweise erklärt, und die war absolut bodenständig, in jeder Hinsicht. Ich fand es witzig, wie er immer „wir“ sagte. In diesem „wir“ steckte alles drin, was er jemals angefasst hat. Und damit meine ich von den albernen Cartoons in Kansas City bis hin zu seinen Freizeitparks. Er erfand eine Kunstform, die zwar jeder imitieren, aber niemals verbessern kann.“

Hanks betont, dass SAVING MR. BANKS nicht vom Entstehen des MARY POPPINS Filmes handelt. „Es geht auch nicht um die Dreharbeiten. „Vielmehr erzählt er davon, wie MARY POPPINS vom Buch in einen Film übertragen wird. Wir beleuchten den unschätzbaren kreativen Prozess, wie das Thema zuerst zu Papier gebracht wurde, um schlussendlich zu dem Film heranzuwachsen, den wir kennen. Was ist das Geheimnis hinter dem Film, den alle so lieben? Nun ja, es liegt in seiner kontroversen Entstehungsgeschichte. Und zwar nicht wegen jemandem, der sich beim Dreh das Bein gebrochen hat. Sondern wegen einer Person, die den Willen des Teams beim Schreiben gebrochen hat: und das war Pamela Travers.“

 

F:         Fangen wir mit MARY POPPINS an. Haben Sie den Film als Kind gesehen?

A:        Ich erinnere mich daran, ihn als Kind gesehen zu haben, denn ich musste bei „Für zwei Pennie Papier schon genügt“ weinen. Also habe ich scheinbar die zweite Veröffentlichung gesehen, nachdem ich mich an diese Szene erinnere. Die Szene wirkt so fröhlich. Und später sah ich den Film mit meinen eigenen Kindern. Dank der Erfindung von Videokassetten habe ich die Lieblingsszenen von MARY POPPINS wahrscheinlich ungefähr 800.000 Mal gesehen, weil die Kids es dauern abgespielt haben.

F:         Welche waren diese Lieblingsszenen von MARY POPPINS?

A:        Der Film ist so interessant, weil er einige Szenen enthält, die den Zuschauer augenblicklich in Bann ziehen. Die Choreografie von „Schritt und Tritt“ ist so lang, schon fast ein Musikvideo. Die Sequenz ist deshalb so lang, weil die Kaminkehrer so ausgiebig und energiegeladen tanzen. Die anderen Elemente sind ohnehin ins kollektive Gedächtnis der Disney-Fans eingegangen. Etwa als Bert, die Kinder und Mary Poppins in die Kreidezeichnung hineinhüpfen und mit Mary „einen herrlichen Tag“ erleben und so weiter. Betrachtet man MARY POPPINS im Kontext der Entstehungszeit, ist es ein ziemlich anspruchsvolles Werk.

F:         Die Musik ist ja untrennbar mit dem Film verwoben. Lernten Sie Richard Sherman kennen, den musikalischen Berater und Mitglied des Songwriting-Teams bei MARY POPPINS?

A:        Ja, er war mit am Set. Dick ist noch immer voller Begeisterung für die Entstehungsweise von Kinofilmen und die Geschichte hinter dem Ganzen. Es ist sehr angenehm, ihn um sich zu haben und er ist eine wahre Fundgrube an Anekdoten rund um die Entstehungszeit des Filmes, die nur er kennt.

Lustigerweise erinnere ich mich auch an die anderen Werke, die Richard geschrieben hat, z.B. „It’s a Small World“, die Erkennungsmelodie des Karussells im Walt Disney World Resort, oder „It’s a Great Big Beautiful Tomorrow”, das Thema des Parks, sowie einiges aus den weniger bekannten Filmen wie „The One and Only, Genuine, Original Family Band.” Wir hatten diese Songs tatsächlich auf Singles und zusammen mit meinem kleinen Bruder hörte ich sie auf dessen Plattenspieler.

Die Geschichte zu „It’s a Small World” war wirklich ganz erstaunlich. Walt sagte nur, er wünschte sich ein Lied zu Ehren der Kinder aller Altersstufen. Sie hatten nur lächerlich wenig Zeit bis zum Jahresfestivals des Parks 1964. Wahrscheinlich fiel ihnen „It’s a Small World” irgendwann nachmittags ein – ein Bruder klimperte auf dem Büro-Klavier herum und der andere ließ sich irgendwelche Texte dazu einfallen. So in etwa war es.

F:         Walts Mitarbeiter waren ihm auch immer emotional verbunden. Wie weckte Walt diese Inspiration in ihnen?

A:        Naja, er war der Studioboss, gleichzeitig dachte er aber immer noch genauso wie der Kerl, der an seinem Zeichentisch harte Arbeit leistete. Die Filme, die er in Kansas City machte, und auch später zu seinen Anfängen in Hollywood, waren arbeitsintensive Projekte, die extrem vom Teamgeist der Mitarbeiter abhängig waren. Es gibt Filme von ihm, bei denen man spürt, dass all diese großartigen Zeichner sich richtig in Zeug legten, um witzige Gags zu erfinden und alle dafür ihr Bestes geben. Bei diesen langen Brainstormings mit lauter lustigen, unterhaltsamen Menschen lernt man sich gegenseitig sehr gut kennen. Walt selbst sagte einst, das er zwar seit 40 Jahren keinen Zeichenstift mehr angefasst hätte, aber noch immer genauso denke wie der Mitarbeiter am Zeichentisch. Schlussendlich war er zwar ein Geschichtenerzähler, der sich immer ums Geld sorgte, aber er gehörte zu den wenigen Studiobossen, die tatsächlich Filmemacher waren. Die meisten waren wie Jack Warner und all die Kerle bei MGM einfach nur Geschäftsmänner. Im Endeffekt also Produzenten, keine Filmemacher.

Walt kannte sich mit dem Filmemachen aus und baute darauf ein gesamtes Imperium auf. Um den geschäftlichen Kram wie Vertragsabschlüsse und Löhne kümmerte er sich erst später. Deshalb fühlte sich jeder von ihm wertgeschätzt und dieses Ansehen stieg, je länger man für ihn arbeitete. Dick und auch viele andere erinnerten sich, dass Walt niemanden offen lobte, sondern immer nur etwas in der Art wie „das passt schon“ sagte und das war’s dann. Im Gespräch mit anderen Leuten hingegen lobte er denjenigen in höchsten Tönen. Das kam dann natürlich irgendwann zu einem zurück und dann fühlte man sich extrem geehrt.

Ständig arbeitete das Team an Projekten, die drei Jahre in der Zukunft lagen. Solche Zeichentrickfilme dauern ewig in der Produktion. Also sprach man dauernd über Entwicklungsprojekte, die erst fünf oder sechs Jahre später in die Kinos kommen würden. Das Studio war ein intensiver Ort voller Energie. Die Walt Disney Studios waren so etwas wie das Ideal eines familiär geführten Studios.

F:         Und dann begegnete Walt P.L. Travers. Was steckte hinter dieser Beziehung?

A:        Sie mochten sich nicht. Bis zum Schluss. Und im Drehbuch zu SAVING MR. BANKS kommt das gut raus – ohne „…und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage“. Sie war eine taffe, geheimnisvolle Lady mit zwiespältiger Vergangenheit. Keiner wusste, dass sie eigentlich Helen Goff hieß. Ihr Vater hieß Travers. Mir sind schon einige Kinderbuchautoren begegnet, tiefgründige, schwermütige Menschen, und genau so war sie auch. Die Mary Poppins Bücher sind eigentlich finsterer, gemeiner und wahrscheinlich wenig geeignet für die breite Masse. Walt Disney jagte den Rechten dazu 20 Jahre lang hinterher, bis er sie sich endlich sicherte und den Film daraus machte. Ich weiß nicht, ob Travers am Ende einwilligte, weil sie das Geld brauchte oder ob das Angebot einfach zu unwiderstehlich war, aber es ist auf jeden Fall wahr, dass sie beim Drehbuch das letzte Wort hatte. Ich hätte nie gedacht, dass jemand in den frühen 1960er Jahren „Script Approval“ bekommen hätte, aber Walt hat sich da tatsächlich breitschlagen lassen.

Sie kam für zwei oder drei Wochen nach L.A., um bei der Storyentwicklung dabei zu sein und die Songs zu hören. Jeder, der mit ihr im Raum war, darunter auch Dick, sagte, dass sie die Hölle auf Erden war. In manchen Momenten heiterte sie etwas auf, aber dann ging es gleich wieder weiter mit Einfällen wie ihrem Verbot der Farbe Rot im Film. Irgendwann hatten sie einfach keine Kraft mehr und machten das, was Travers wollte. Eine großartige Anekdote geht so: Bei der Premierenfeier, nachdem der Film gezeigt wurde, kam sie auf Walt Disney zu und sagte „Oh, Mr. Disney, wir haben bei diesem Film noch so viel Arbeit vor uns!“ Und Disney antwortete nur: „Pamela, der Zug ist abgefahren“, drehte sich um und wollte nie wieder mit ihr sprechen. Sie war eine harte Nuss.