Deus Ex: Human Revolution – Test / Review

Als Eidos mit dem ersten Deus Ex im Jahre 2000 nicht nur das neue Millenium einläutete sondern gleichzeitig eine düstere Zukunftsvision von Transhumanismus, Nanotechnologie,  künstlichen Gliedmaßen und einer Welt voller Verschwörungen, Gewalt und Intrigen erschuf, dauerte es nicht lange, bis das Spiel, das bis heute als der inoffizielle Nachfolger des Erfolgstitels System Shock gilt, eine hartgesottene Fangemeinde aufweisen konnte. Was Bladerunner für Film & Kino war und ist, ist Deus Ex für die Welt der Videospiele: Das Paradebeispiel für ein düsteres Cyberpunk-Universum und ein Vorzeigetitel moderner Stealth-Shooter. Deus Ex: Human Revolution (DEHR) ist nunmehr der dritte Titel der Serie, der allerdings nicht an die Geschehnisse des zweiten Teils anknüpft sondern gut ein halbes Jahrhundert vor den Geschehnissen des ursprünglichen ersten Teils spielt.
Wir schreiben das Jahr 2027 und die Welt ist nicht mehr wieder zuerkennen. Futuristische Megabauten ragen steil in den Himmel, Nanotechnologie ist längst dem Prototypenstadium entwachsen und sorgt in der Bevölkerung für reichlich Unmut. Man fühlt sich an X-Men erinnert, in dem die Mutanten als Minderheit gehasst, gejagt und gefürchtet werden. Ebenso ergeht es den Menschen, die durch Cyber-Implantate künstlich „aufgewertet“ werden. Angst breitet sich in der Bevölkerung aus und so lernt man auch spielerisch gleich zu Beginn des Spiels, weshalb: Als „normal Sterblicher“ Adam, so der Name des neuen Protagonisten, erfährt man in einer tutorialhaften Vorgeschichte am eigenen Leib, was ein amoklaufender Cyborg anrichten kann. Nicht nur wird er lebensgefährlich verletzt und erwacht selbst als halbe Maschine nach sechs Monaten aus dem künstlichen Koma sondern er verliert dabei auch noch seine Freundin. Klar, dass er mit seinem Schicksal hadert und von Anfang an ein zwiegespaltenes Verhältnis zu seinem neuen Körper pflegt. Wer den Film Repo Men mit Jude Law gesehen hat, wird hier bereits das zweite Film-Déja Vu erleben – was jedoch keinesfalls abwertend gemeint sein soll.

 

Evolution oder Revolution?

Wer die Vorgänger gespielt und geliebt hat, braucht keine Angst zu haben: DEHR erfindet sich nicht neu sondern bleibt den Wurzeln durch und durch treu. Deus Ex ist und bleibt ein Mix aus Actionspiel, Stealth-Shooter und Rollenspiel und erinnert in seiner Mischung des öfteren an Titel wie Metal Gear Solid oder auch Mass Effect 2. Zwar erweckt die FirstPerson-Perspektive den Eindruck, einen reinrassigen Shooter zu spielen, dieser Eindruck wird jedoch spätestens nach dem Tutorial zerstört, wenn man mit gerade einmal 20 Schuss in seine erste Mission geschickt wird. Nein, Deus Ex will kein Shooter sein und wer einen erwartet, wird hier nicht fündig. Ja, Gewalt ist ein fester Bestandteil des Spiels,ebenso der Einsatz von unzähligen Waffen, Waffenupgrades und Gimicks wie Elektroschockern, Laservisieren, Gasgranaten und vielerlei mehr – trotzdem kann das Spiel (beinahe) ohne Einsatz dieser Mittel gespielt und fast gewaltfrei – oder zumindest ohne tödlichen Waffeneinsatz – bestritten werden. Kern des Ganzen ist nämlich das, was Deus Ex so bekannt gemacht hat und was es vom Einheitsbreit der FPS abhebt: Das Analysieren der Situation, das Beobachten von Wachen und Marschrouten, das Hacken von Sicherheitsschlössern und -Terminals, das unbemerkte Eindringen und möglichst auch Entkommen aus dem Einsatzgebiet…das Schleichen, Tarnen, Fallenlegen und Spurenverwischen, das Niederschlagen von Wachen und das anschliessende Verstecken der Bewusstlosen oder Toten…. Und all das kann DEHR nach wie vor ganz hervorragend!

 

 

Dabei sollte man jedoch jederzeit beachten, dass Adam zwar über Cyber-Implantate verfügt und entsprechend besondere Fähigkeiten besitzt (und weitere im Laufe des Spiels freischalten oder sogar käuflich erwerben kann), dabei aber immer noch „Mensch“ bleibt. Kein Vergleich zu einem Nano-Suite-bestückten Berserker á la Crysis! Zwar lernt auch Adam im Laufe des Spiels, aus großer Höhe zu fallen ohne Schaden zu nehmen oder gar durch dünnere Wände zu brechen, trotzdem ist er kein Fels in der Brandung. Gerät er ins Kreuzfeuer, heisst es nach wenigen Momenten „Game over“ und man fängt beim letzten Speicherpunkt erneut an. Aber wer Deus Ex „richtig“ spielen möchte, wird solche Situationen eh bewusst vermeiden wollen. Das dynamische Deckungssystem hilft dabei immens. Per Knopfdruck presst sich Adam an jede mögliche Deckung während die Kamera in eine third-person-Perspektive wechselt. Nach kurzer Eingewöhnungszeit klappt das dynamische Wechseln der Deckungen, Laufrichtungen oder Körperhaltungen auch wunderbar und so pirscht, schleicht, sprintet und hechtet man sich inmitten von Wachen durch großräumige Lagerhallen, enge Büroflure oder wahlweise auch durch Lüftungsschächte und Treppenhäuser. Und Deus Ex WILL so gespielt werden. Wer es schafft, ein Zielgebiet oder ein Einsatzziel zu erreichen, ohne gesehen zu werden, erhält eine satte Summe Erfahrungspunkte. Etwas weniger gibt es noch, wenn man zwar gesehen wird, die Wache jedoch ausschalten kann, bevor Alarm ausgelöst wird – was man wirklich tunlichst vermeiden sollte, denn dann schwärmen zeitweise Horden von Gegnern aus, suchen an bekannten Positionen nach unserem Agenten oder kreisen ein bestimmtes Gebiet schonmal systematisch ein. Gut, wenn man sich dann bereits im Vorfeld Gedanken zu potenziellen Fluchtwegen gemacht hat! Besonders gefällt bei alldem die Tatsache, dass es niemals nur einen möglichen Weg zur Erreichung des Ziels gibt. Jeder Raum ist durch mehrere Zugänge erreichbar, sei es die Tür, ein Lüftungsschacht oder einen Nebenraum, eine Treppe, einen Fahrstuhl oder dergleichen. So können komplette Routen ganz nach eigenem Geschmack und individueller Spielweise geplant werden. Entscheide ich mich, die Wachen im Foyer zu erschießen oder wähle ich den Weg über´s Dach? Hacke ich mich in ein Terminal oder sprenge ich mich durch die Wand? Nutze ich Betäubungswaffen oder töte ich meine Gegner? Suche ich nach wichtigen Notizen, um Codes zu knacken oder unbemerkt zu entkommen oder springe ich aus dem zweiten Stock in eine Gruppe von Wachen? Hier hat man im Sekundentakt die Qual der Wahl!

 

Die pure Entscheidungsfreiheit

Und das ist wörtlich gemeint. Am laufenden Band wird Adam vor oder während laufender Einsätze vor schwerwiegende Entscheidungen gestellt. Mal können ganz subtile Nebenziele angenommen werden – bei anderen Missionen kann aber das Überleben von dutzenden Zivilisten vom eigenen Zögern abhängen. Etwa, wenn man einen Raum betritt, in dem mehrere Geiseln nur darauf warten, dass die Zeitbombe in der Mitte des Zimmers detoniert. Rettet man sich hier selbst durch die sich schließenden Türen oder wagt man es, die Bombe zu entschärfen?

Apropos entschärfen: Das Entschärfen von Bomben oder Hacken von Sicherheitsschlössern und Terminals erfolgt, abhängig von der Sicherheitsstufe, in unterschiedlich schweren Mini-Games. Hier geht es darum, Knotenpunkte miteinander zu verbinden bzw. einzunehmen und das, ohne die Aufmerksamkeit der KI auf sich zu lenken. Passiert dies doch, versucht der Computer, den Hack-Versuch zu unterbinden, woraufhin das Spiel deutlich komplexer wird. Dann müssen Signale umgeleitet, es muss getäuscht und getrickst werden, um das Ziel noch zu erreichen. Dass dabei jedoch das eigentliche Spiel niemals pausiert sondern man sich mit Adam sogar während des Hackens noch umsehen kann und sollte (!), erschwert die Situation noch weiter. Verzichten sollte man darauf nämlich nicht, denn es gibt kaum etwas Unangenehmeres, als nach einem erfolgreichen Spießroutenlauf und einem beinahe gehackten Terminal auf einmal hinterrücks niedergestreckt zu werden…

 

 

Aber selbst diese Hack-Einlagen sind meistens optional! Wer nicht darauf steht, sich unbemerkt in die Systeme zu hacken, findet in aller Regel auch einen anderen Weg zum Ziel. Und so kann man im Laufe des Spiels seinen ganz eigenen Adam erschaffen. Möchte man ein unschlagbarer Hacker sein oder doch eher der unsichtbare Assassine? Die rasende Kampfmaschine oder der lautlose Scout? Es bleibt jedem Spieler vollkommen selbst überlassen, auf welche der vielen, vielen Fertigkeiten (Augs genannt, von Augmentation, was auf Deutsch so viel wie „Zuwachs“ bedeutet) man seine Skillpunkte verteilen möchte. Der Einsatz von speziellen Fertigkeiten kostet allerdings immer Energie – und diese ist, ebenso wie Munition, rar gesät. Zwar läd sich ein gewisser Grundstock von alleine wieder auf, dieser reicht allerdings gerade einmal für das Überwältigen einer einzelnen Wache… keine gute Ausgangsposition, wenn man sich aufgrund falscher oder ungeduldiger Vorgehensweise mit einem Mal inmitten schwerbewaffneter Söldner wiederfindet…

Doch nicht nur die Charakterentwicklung ist völlig offen, sogar die Spielwelt ist ein offener Sandkasten, der zum Forschen und Entdecken einläd. Wer möchte, kann dutzende Stunden in den offenen, futuristischen Städten verbringen, dabei Shops abklappern, Ausrüstung und Fertigkeiten erwerben, Nebenmissionen suchen oder auch einfach nur den Unterhaltungen der Passanten zuhören. Oder man liest sich durch eine der unzähligen Tablet-Tageszeitungen (in elektronischer Form wohlgemerkt), durch private oder geschäftliche Emails, erfährt dadurch Neuigkeiten über technologische Entwicklungen und Politik oder man betrachtet die neuesten Nachrichten in diversen Bildschirmen.

Es gibt somit eigentlich immer etwas neues zu entdecken, langweilen wird sich jedenfalls hier niemand. Und hat man davon irgendwann wieder genug, widmet man sich wieder dem eigentlichen Plot, der bedauerlicherweise ab einem gewissen Punkt etwas sehr vorhersehbar wirkt, ansonsten aber sehr gut unterhalten kann!

 

Evolution der Technik?

Technisch erinnert Deus Ex – Human Revolution offen gesagt frappierend an Spiele wie Metal Gear Solid 4 oder Mass Effect 2. Beinahe gewinnt man den Eindruck, es hier mit denselben Entwicklern zu tun zu haben, so ähnlich wirken manche Objekte, Effekte oder Funktionsweisen. Somit braucht man auch nicht die oppulenten Rauchsäulen oder Explosionen eines Killzone3 oder Gears of War zu erwarten, vielmehr wird die futuristische Optik durch leuchtende Kanten und Linien geprägt, die auf Interaktivität hindeuten und den Spieler etwas mehr an die Hand nehmen, als oftmals nötig. Cybertech vom Feinsten zwar, aber ein ganz anderer, sauberer, steriler Stil. Erstmalig kommt in Deus Ex ein RealtimeAmbient-Occlusion-Shader zum Einsatz, der sämtliche Objekte mit einer künstlichen Schattenfuge umgibt was zwar meistens dem plastischen Eindruck zu Gute kommt, in gewissen Situationen aber auch störend wirken kann. Etwa dann, wenn man sich selbst nahe an eine Wand drückt und auf einmal von einer schwarzen Wolke umrahmt wird. Apropos Schatten: Diese machen auf den Konsolen leider nicht immer die beste Figur. All zu oft bemerkt man ausgefranste Ränder, Treppchen oder Flackern, was glücklicherweise auf das Spiel an sich keine Auswirkungen hat. Trotz allem läuft DEHR auf allen Systemen sehr flüssig und nur selten geht die Bildrate spürbar in den Keller. Ein Extralob hat jedoch der Soundtrack verdient. Sphärische, Trance-artige Klänge, elektronische Synthie-Teppiche und atmosphärische Tracks untermalen Deus Ex ganz hervorragend – und das, ohne zu nerven. Kein stupides Technogewummer, wie man vielleicht vermuten würde sondern erstklassige Musik, die zudem perfekt ins Spiel gemischt wird.

Lediglich die deutsche Synchronisierung ist wie so oft mit Mängeln behaftet. Zwar sind die Sprecher bis auf wenige Ausnahmen gut gewählt, dafür ist die Abmischung wenig konstant und oftmals versteht man tatsächlich das eigene Wort nicht mehr. Hier sind leider die deutschen Untertitel Pflicht. Ein englischer Soundtrack existiert erstaunlicherweise nicht einmal auf der Bluray der PS3-Version – hier darf man dann höchstens auf französisch spielen.

 

 

Fazit:

Deus Ex – Human Revolution ist nicht die Revolution, die viele Fans befürchtet hatten. Es setzt die Reihe konsequent fort und liefert zu jeder Zeit ein äusserst spannendes und befriedigendes Spielerlebnis! Die offene Spielweise mit unterschiedlichen Lösungsmöglichkeiten und Vorgehensweisen weiß auch auf Dauer zu motivieren und verhindert trotz des teilweise knackigen Schwierigkeitsgrades Frust! Deus Ex ist unter dem Strich ein hervorragendes Spiel, das wie seine Vorgänger auch seinen Kultstatus beinahe sicher hat. Uneingeschränkte Kaufempfehlung für alle Fans spannender und taktischer Stealth-Action!